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Archiv-Artikel

Baden-Württemberg des Staubens schuldig

Erstmals siegen Anwohner mit einer Klage gegen Überschreitung der Feinstaub-Grenzwerte. Das Regierungspräsidium Stuttgart muss jetzt einen Aktionsplan vorlegen, mit dem Obergrenzen zukünftig eingehalten werden sollen

BERLIN taz ■ Erstmals gibt es einen juristischen Erfolg im Kampf gegen Feinstaub: Das Verwaltungsgericht Stuttgart verurteilte gestern das Land Baden-Württemberg. Das zuständige Regierungspräsidium muss einen „immissionsrechtlichen Aktionsplan im Hinblick auf Überschreitung der für Feinstaub verordneten Grenzwerte“ aufstellen, wie es in der Urteilsbegründung heißt. (AZ 16 K 1120/05 und 16 K 1121/05). Zwei Anwohner hatten Schritte zur Einhaltung der Grenzwerte eingeklagt.

Keine andere deutsche Großstadt ist so dreckig wie Stuttgart: Laut Gesetz darf die Feinstaubkonzentration an maximal 35 Tagen im Jahr höher als 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft liegen. Eine der Hauptquellen dieser ultrafeinen Partikel ist Dieselruß, der als krebserregend gilt. Stuttgart hatte als erste deutsche Großstadt bereits Mitte März die EU-Auflagen verletzt – inzwischen sind es an die zwei Dutzend deutsche Städte. Obwohl das Jahr noch nicht einmal zur Hälfte um ist, wurde der Grenzwert in Stuttgart bereits 70-mal überschritten – doppelt so oft wie zulässig. Und das um bis zu 600 Prozent.

„Schutz der menschlichen Gesundheit im Allgemeinen ohne effektiven, einklagbaren Schutz der Gesundheit Einzelner im Besonderen wäre ein Widerspruch in sich“, argumentierte nun die 16. Kammer des Verwaltungsgerichtes. Das ist ein Paradigmenwechsel. In München und Berlin hatten Anwohner bislang nämlich erfolglos versucht, ihren individuellen Gesundheitsschutz einzuklagen. „Zwar haben die Richter das Recht der Bürger auf Grenzwerteinhaltung anerkannt, ihnen aber gleichzeitig das Recht abgesprochen, Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte einzuklagen“, erklärt Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe. Die Klagen seien jeweils abgelehnt worden. In der deutschen Umsetzung der EU-Richtlinie seien keine Sanktionsmöglichkeiten gegen Kommunen eingebaut, argumentierten die Richter.

Das sah nun das Stuttgarter Gericht anders: Der von den Klägern erstrebte Aktionsplan für mehr Luftqualität sei durch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) gedeckt. „Ein auf der Grundlage des BImSchG zwingend zu erlassender Aktionsplan“ diene „sehr wohl der Durchsetzung der europarechtlich veranlassten Vorschriften“, urteilen die Richter nun. Der seit Anfang 2005 für Feinschwebestaub geltende Grenzwert sei unter Berücksichtigung von 35 Toleranztagen pro Jahr unbedingt einzuhalten – „jede Überschreitung ist verboten“.

„Das ist ein extrem wichtiges Urteil, weil es die Behörden zum Handeln verpflichtet“, sagte Rosenkranz. Die Umwelthilfe hofft, dass die von ihr eingelegten Beschwerden gegen die Richtersprüche in München und Berlin zügig behandelt werden. Rosenkranz: „Der Stuttgarter Spruch wird weit über Stuttgart hinaus Beachtung finden.“ NICK REIMER