piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Finanzmissionar

PROFIT Ein österreichischer Wirtschaftsprediger will den Kapitalismus von innen angreifen – ganz freundlich. Jetzt hat er sich mit einem bayerischen Banker verbündet. Das Ziel: eine Gemeinwohlökonomie

Die Gemeinwohl-Idee

■ Der Mann: Der 39 Jahre alte Christian Felber bereist Deutschland und Österreich als Inspirator einer neuen menschenfreundlichen Wirtschaft. In seinem Buch „Gemeinwohlökonomie“ entwirft er ein umfassendes System dazu. Felber, der eine Neigung zum Spirituellen hat, ist einer der Gründer von Attac Österreich und tritt manchmal auch als Tänzer auf. www.christian-felber.at

■ Das Projekt: Felber will unser Wirtschaftssystem komplett umkrempeln. Eine basisdemokratische Bewegung soll das durchsetzen, indem sie eine neue Verfassung und andere Gesetze erlässt. Während heute Konkurrenz und Gewinn die leitenden Prinzipien seien, soll in der künftigen Gemeinwohl-Ökonomie die Kooperation an erster Stelle stehen. www.gemeinwohl- oekonomie.org

■ Die Firmen: Felbers Konzept unterstützen aktuell 592 Firmen. Die meisten sind klein und gehören Ökobranchen an. Aber es gibt auch größere Unternehmen darunter, etwa die Bahntechnik-Firma Rhomberg, die Sparda-Bank München oder die Agrargenossenschaft Sekem in Ägypten mit 1.900 Mitarbeitern. Einzelne wie die Sparda München haben schon eine Gemeinwohlbilanz erstellt.

AUS MÜNCHEN HANNES KOCH

Der große Mann mit dem roten Bart will der Bank das Handwerk legen. Einen Verein für Sozialarbeit will er aus ihr machen, einen Streichelzoo des guten Gewissens. Er fordert: Geldinstitute sollen künftig dem Gemeinwohl verpflichtet sein und nicht mehr gewinnorientiert arbeiten.

Zumindest Letzteres sagt der Wirtschaftsreformer, Buchautor und Tänzer Christian Felber, 39 Jahre alt, den Angestellten der Sparda-Bank München ins Gesicht. 200 von ihnen sind in den großen Saal des Bayerischen Rundfunks gekommen, in dem die architektonische Kälte der 1970er Jahre herrscht – blanker Beton, helle Holzstühle.

Die meisten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, adrett bis teuer gekleidet, und hoffen – wenn sie es nicht schon geschafft haben – auf ein Einfamilienhaus im Voralpenland, wohin sie ihr 40.000-Euro-Familienauto nach vollbrachter Arbeit zurückträgt. Und nun kommt dieser selbst ernannte Missionar und schwingt eine Rede, in der er mit dem Kapitalismus und ihrem Anteil daran aufräumt? Hier und da ist Unmut zu vernehmen. Einer fragt: Wie soll man eine Bank betreiben ohne ausreichende wirtschaftliche Basis?

Christian Felber ist ein leiser, sanfter Mensch mit behutsamem Händedruck und scheuem Blick. Er kleidet sich zurückhaltend, hellblaues Hemd, braunes Jackett, Jeans. Vor der Veranstaltung sitzt er bescheiden in einer hinteren Stuhlreihe und wartet, bis man ihn nach vorne bittet. Während seines Vortrages aber ändert er sich. Dann wird er bestimmt, fast schneidend. Dem Frager bescheidet er: „Man kann nur Gott dienen oder dem Mammon, nicht beiden zugleich.“ Wird der Kapitalismuskritiker aus Österreich in der Hauptstadt Bayerns nun ausgelacht? Setzt man ihn schnell vor die Tür, um in Ruhe weiter Geld zu verdienen?

Nichts von alledem – der Mann ist hier in offizieller Mission. Denn Helmut Lind, der 50 Jahre alte Chef der Sparda-Bank München, ein sehniger Sportlertyp mit randloser Brille, hat „den lieben Christian Felber“ eingeladen, auf dass er den Bankangestellten erkläre, wie eine Wirtschaft funktioniert, in der es allen Menschen gut geht. Felber und Lind – das ist die Fusion zweier scheinbar unvereinbarer Lebenswelten.

Aber auch Lind hat, trotz und wegen seines Jobs, eine ziemlich negative Sicht auf Teile der ökonomischen Realität. Er sagt: „Ich erwarte die Implosion unseres Wirtschaftssystems in nicht allzu ferner Zukunft.“ Dafür hat er ein schreckliches Wort erfunden: Finanzfukushima. Deshalb freut Lind sich am Rednerpult, dass „du, Christian, da bist“. Dessen neues Buch legt der Bankchef seinen 660 Sparda-Angestellten sehr ans Herz: „Es ist hervorragend, ich habe mir schon viel rausgeschrieben.“ Die beiden kennen sich seit zweieinhalb Jahren, in tagelangen Workshops haben sie gemeinsam an ihrer Theorie gefeilt.

„Gemeinwohlökonomie“ heißt Felbers Werk. Seine Idee ist, die ganze Wirtschaft und jedes Unternehmen von Konkurrenz auf Kooperation umzupolen. Er will nicht weniger als das leitende Prinzip dieser Gesellschaft auswechseln, dem Kapitalismus das ungebremste Gewinnstreben austreiben.

Felber verlangt, eine Obergrenze für Privateigentum von zehn Millionen Euro einzuführen, Banken die Finanzspekulation zu untersagen, Firmen die Gewinnausschüttung an ihre Besitzer mehr oder weniger zu verbieten und sie zu verpflichten, nur noch sozialverträgliche Produkte herzustellen.

Als Startschuss sollen möglichst viele Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz vorlegen, in der sie Rechenschaft ablegen über die sozialen und ökologischen Konsequenzen ihres Wirtschaftens. Dazu müssen sie Fragen beantworten wie: Werden die Produkte umweltfreundlich hergestellt? Bekommen die Beschäftigten vernünftige Löhne? Verzichtet man auf feindliche Übernahmen?

Finanzkrise, allmächtige Ratingagenturen, gierige Hedgefonds und VW-Chef Winterkorns Jahresgehalt von 17 Millionen Euro: Eine breite Strömung des linken, linksliberalen und bürgerlichen Zeitgeistes ist mit dem Zustand der Gesellschaft höchst unzufrieden. Diesen Menschen bietet Felber ein Konzept, das Antworten auf nahezu alle Fragen verspricht.

Fast 600 Unternehmen sind mittlerweile als Unterstützer auf der Internetseite der Gemeinwohlökonomie vertreten. Einige veröffentlichen schon ihre Gemeinwohlbilanz. Die meisten sind Mini-Betriebe wie der Ökotischler, der zwei Halbtagskräfte bezahlt. Aber es finden sich auch größere Firmen, etwa die Brauerei Trumer mit 50 Beschäftigten im österreichischen Obertrum, die Zotter Schokoladen Manufaktur in Riegersburg, 120 Angestellte, oder das Bahntechnik-Unternehmen Rhomberg in Bregenz mit 1.000 Mitarbeitern.

Christian Felber spricht mit warmem österreichischem Akzent. Wenn er von seinen Erfolgen erzählt, versucht er vergeblich, ein stolzes Strahlen im Zaum zu halten. Er genießt es, Vorträge zu halten. Er hat wohl dieses Gefühl, etwas Großes in Bewegung zu setzen. Ein Brauereibesitzer, der Felbers Familie schon lange kennt, warnt: „Christian Felber sollte nicht zu missionarisch werden.“

Am 9. Dezember 1972 habe er sich „in die Welt gebohrt, an einem lauen Föntag“, sagt Felber über seine Geburt – für ihn „ein Plädoyer gegen Passivität“. Im Kern ist er ein Romantiker mit starkem Hang zur Spiritualität. „Sehr früh nahm ich die Verbundenheit von allem wahr.“ Als kleiner Junge sei er jeden Tag an den See gegangen und habe die „wunderschönen Mythen weiter geträumt“, die er aus der katholischen Kirche kannte.

Felber studierte nicht nur romanische Literatur, Spanisch, Wirtschaft, Politik und anderes mehr, sondern ist auch „experimenteller Tänzer“. Manchmal lockert er politische Veranstaltungen mit Darbietungen auf, die Sportgymnastik näher kommen als Ballett. Diese Akrobatik ist für ihn „ein Beispiel für gelingende Kooperation und Hinspüren“. Und umso dringlicher, als „die Menschen noch nicht in ihrer ganzen Zärtlichkeit angekommen sind“.

Vor Jahren hat er den österreichischen Zweig der globalisierungskritischen Organisation Attac mit gegründet. Noch immer amtiert er als einer ihrer Sprecher. Nun ist er ein gefragter politischer Alleinunterhalter, drei bis fünf Vortragsanfragen gehen täglich ein. Aber nur 15 Referate pro Monat sage er zu, um „gesund und ausgewogen“ zu bleiben. Felber beschäftigt zwei Mitarbeiter, die diese Geschäfte organisieren. Für manchen Vortrag bei Unternehmen erhält er mittlerweile 5.000 Euro.

Dafür bietet er etwas. Am Stehpult in dem großen Betonsaal in München ruht er in sich, er spricht mit voller Stimme, klar. Felber hat Charisma, die Zuhörer holt er in seine Gedankenwelt hinein und lässt sie anderthalb Stunden nicht entkommen.

„Welche Werte praktizieren Sie im Privatleben?“, fragt er in den Saal. Die Banker lassen sich vorsichtig auf dieses Lehrer-Schüler-Gespräch ein. „Vertrauen“, antwortet einer; „Respekt“, eine andere; „Ehrlichkeit“, eine dritte. Mit erhobener linker Hand zählt der Vortragende mit, bis der humanistische Wertekanon beisammen ist. „Diese Werte lassen überall auf der Welt persönliche Beziehungen gelingen“, fasst er zusammen.

Und welche Werte bestimmen das Wirtschaftsleben? „Gewinnstreben, Härte, Rücksichtslosigkeit, Macht“, sagt das Publikum. Zielsicher bringt Felber den Saal zu der Erkenntnis, dass das Gute, das alle eigentlich wollen, im Wirtschaftsleben systematisch ins Gegenteil verkehrt wird. Ölkonzerne verpesten die Umwelt, Apple beutet chinesische Billigarbeiter aus.

Sein letzter Beweis: Felber zitiert aus dem „Wohlstand der Nationen“, Adam Smith’ marktwirtschaftlichem Manifest von 1776. „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Bäckers, Brauers erwarten wir unsere tägliche Mahlzeit, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“ Man soll lernen, dass der Kapitalismus sich das Mäntelchen der Nächstenliebe umhängt, tatsächlich jedoch das allgegenwärtige Konkurrenzprinzip einen „ungemeinen Schaden an den Beziehungen zwischen den Menschen anrichtet“.

War die Stimmung im Saal anfangs wohlwollend, wird sie nun distanzierter, manche Zuhörer werfen ihren Nachbarn skeptische Blicke zu: Baut Felber nicht einen Kapitalismus-Popanz auf? Man kann die Realität auch anders betrachten: Der Bäcker verkauft uns seine Brötchen aus Eigeninteresse, aber das Produkt muss gut sein, sonst nehmen wir es ihm nicht ab. Der Egoismus des Produzenten berücksichtigt also die Interessen der Konsumenten – sonst geht das Unternehmen mangels Käufern pleite.

Apple ist keine Diktatur, die Millionen Menschen zum Kauf von iPhones zwingt. Die Kreativität der Firma und die Bedürfnisse der Kunden kommen im freien Kaufvertrag zusammen. Ist dieser gut oder böse, sozial oder asozial, das Werk Gottes oder des Teufels? Oft beides zugleich. Kann man die eine Seite tilgen, ohne die andere zu verlieren?

Sparda-Chef Helmut Lind ist ein ehrgeiziger Manager, der sich rasch die Karriereleiter bis zum Bankvorsitz hinaufgearbeitet hat. Aber er begreift sich auch als Bürger, der sich über manches in seinem Gewerbe empören muss: „18 Billionen Euro werden in Steueroasen versteckt. Das ist nicht nur Flucht vor der Steuer, sondern vor dem Gesetz und der Demokratie.“

Außerdem treibt Lind, ähnlich wie Felber, ein starkes spirituelles Gefühl. Er spürt eine Verbundenheit zu allem, was ist – „es geht nicht um mich, sondern um das Universum.“ Sitzt man mit ihm beim Bier am rotkarierten Tisch einer Münchner Kneipe, empfiehlt Lind am Schluss nicht nur ökonomische Fachliteratur, sondern auch esoterische Werke wie Ken Wilbers „Eros, Logos, Kosmos“. Sich selbst nennt er einen „Integral-Denker“.

Auf seine Initiative hin hat die Sparda-Bank als eines der ersten Unternehmen eine Gemeinwohlbilanz erarbeitet. Damit analysiert man das politische, soziale und ökologische Soll und Haben. 60 Pluspunkte erhält das Unternehmen etwa, wenn es die Produkte sozialverträglich herstellt, 40 Punkte, wenn es die Arbeitszeit auf möglichst viele Köpfe verteilt, um die Erwerbslosigkeit zu senken. Weitere Bonuspunkte vergibt Felber für eine geringe Einkommensschere zwischen normalen Angestellten und dem Vorstand und eine bescheidene Gewinnausschüttung zugunsten der Aktionäre.

Ein Punktabzug erfolgt dagegen, wenn die Firma Menschenrechte verletzt, andere Betriebe gegen deren Willen aufkauft, Mitarbeiter trotz Gewinn entlässt, Ableger in Steueroasen betreibt oder das Kapital externer Eigentümer mit mehr als zehn Prozent jährlich verzinst. Rund 20 Arbeitstage hat vor allem Sparda-Sprecherin Christine Miedl in diese Bilanz investiert. Am Ende stand fest: Von 1.000 möglichen Punkten hat die Bank 332 erreicht – für den Anfang nicht schlecht, aber es bleibt noch was zu tun.

War es für das Geldinstitut schwierig, das zu schaffen? Nicht besonders. Sparda München ist keine transnational operierende Aktiengesellschaft wie die Deutsche Bank oder Goldman Sachs, sondern eine Genossenschaftsbank. Manche dieser Institute schränken ihr Profitstreben ohnehin ein – indem sie sich etwa auf die Heimatregion konzentrieren. So gesehen ist die Sparda-Bank sowieso kein gieriges, sondern ein gemäßigt kapitalistisches Unternehmen.

Mit knapp 20.000 Euro verdient der Vorstand hier das 8,4-Fache des am geringsten bezahlten Mitarbeiters – der bekommt 2.248 Euro. Zum Vergleich: Martin Winterkorn, Vorstand der Volkswagen Aktiengesellschaft, erhält etwa dreihundertmal so viel wie einer seiner Facharbeiter.

Auch beim Gewinn verhält sich die Bank vergleichsweise moderat. Angesichts eines Eigenkapitals von etwa 200 Millionen Euro wies das Institut für 2010 einen Gewinn von 20 Millionen aus. Über die Hälfte davon behielt man als Rücklage, um das normale Geschäft zu finanzieren und abzusichern. Nur gut drei Millionen Euro wurden an die 230.000 Genossen ausgeschüttet, denen die Bank offiziell gehört.

Die Verzinsung des Kapitals der Eigentümer betrug damit 5,5 Prozent – lächerlich im Vergleich zu den Eigenkapitalrenditen von 15 oder 20 Prozent, die transnationale Banken und Fonds erzielen. Hinzu kommt: Der Mitbesitz an der Sparda-Bank war bis vor kurzem auf 30 Genossenschaftsanteile pro Kopf begrenzt, die maximale Rendite lag damit bei etwa 85 Euro. Jetzt ist die Menge der Anteile sogar auf fünf pro Person reduziert worden. Ein Geschäft, bei dem die Genossen reich werden, ist das nicht.

Trotzdem widerspricht diese bescheidene Kapitalverzinsung noch dem, was Christian Felber zulassen will. Wenn es nach ihm ginge, dürften die Eigentümer, die nicht im Unternehmen mitarbeiten, höchstens den Inflationsausgleich erhalten – oder am besten gar keine Rendite.

Außerdem will Felber die Zinsen grundsätzlich abschaffen, unter anderem, weil sie zur Umverteilung von Arm zu Reich führten. Die Sparda München jedoch hat 2010 immerhin 91 Millionen Euro mehr Zinsen von Schuldnern eingenommen, als sie ihren Kunden für Sparguthaben ausschüttete. Wie aber soll eine Bank überleben, die mit einem Hauptprodukt – Krediten – keinen Gewinn mehr machen darf, durch den sie Personal und Investitionen finanziert?

Er will nicht weniger als das leitende Prinzip dieser Gesellschaft auswechseln

Hinter dem Konzept der Gemeinwohlökonomie steckt ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem. Was verliert eine Gesellschaft, wenn sie den Wettbewerb zwischen Individuen unterbindet und jede Entscheidung auf die Goldwaage ethischer Verträglichkeit legt? Den Porsche 911, das iPhone, Medikamente gegen Aids und Windparks gibt es auch deshalb, weil Privatleute, Erfinder und Unternehmen viel Hirn, Zeit und Geld investiert haben. Dafür erwarten sie als Gegenleistung einen entsprechenden Profit. Legte man Milliardären wie einst Steve Jobs das Handwerk, müssten wir auf die Art von Fortschritt verzichten, die die Mehrheit der Bevölkerung in wohlhabenden Staaten heute alltäglich genießt.

Felbers Vortrag ist zu Ende, Applaus. Doch Lind meint, Skepsis bei seinen Leuten zu spüren. Er hängt sich nochmal rein, am Mikrofon beschwört er sie: Die opulenten 14,4 Monatsgehälter, die die Sparda-Angestellten jährlich erhalten, habe man nicht einmal gekürzt, als 2009 die Finanzkrise tobte. Die Botschaft des Chefs: Das bleibt auch in Zukunft so, trotz Gemeinwohl.

Das glauben nicht alle. Gegenüber Betriebs- und Aufsichtsrat muss Lind seine Ideen ständig verteidigen. Für viele Manager anderer Sparda-Banken ist der Münchner ein Störenfried, einer, der sich zum Guru aufschwingt. Er macht eine wegwerfende Handbewegung: Jede Sparda-Bank ist selbstständig, die anderen haben ihm nichts zu sagen.

Aber Linds Weg wird nicht einfacher. Tatsache ist, dass die Sparda München bisher nur den Stand der Dinge bilanziert hat. Geändert im Sinne der Gemeinwohlökonomie wurde noch nichts. Die eigentlichen Fragen sind noch unbeantwortet: Ist die Gemeinwohlökonomie ein allzu utopisches Modell oder gar eine fantastische Sackgasse? Für welche Unternehmen eignet sie sich unter welchen Umständen?

Sepp Sigl ist Eigentümer der Brauerei Trumer. Er klingt jovial am Telefon, ein Patriarch, dessen Vorgänger 1601 vom Erzbischof die Erlaubnis erhielten, Bier zu brauen. Grundsätzlich unterstützt Sigl Felbers Idee. Aber er sagt: „Kleineren Firmen fällt es leichter, das Konzept der Gemeinwohlökonomie anzuwenden. Großunternehmen und Konzerne dagegen müssten sich dramatisch verändern, um ihm gerecht zu werden.“

Ein Familienunternehmen mit 50 Leuten wie Trumer kann eher auf die Verbundenheit einer regionalen Kundschaft bauen, die höhere Preise für höhere Qualität akzeptiert. Außerdem muss eine Firma, die im Besitz weniger Personen ist, nicht die teilweise absurden Profitvorstellungen der internationalen Finanzmärkte befriedigen. Deswegen kann der ausgeschüttete Gewinn niedriger, die finanzielle Verantwortung für die Beschäftigten, die Umwelt und das Gemeinwesen ausgeprägter sein. Die meisten Firmen, die sich heute besonders ethisch verhalten, sind daher entweder kleinere und mittlere Betriebe, oder sie halten Distanz zum Finanzmarkt – wie Ritter Sport oder der dm-Drogeriemarkt.

Für Großunternehmen ist so etwas schwieriger, sagt auch Adelheid Biesecker. Die emeritierte Ökonomie-Professorin der Universität Bremen sitzt im wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland. Versuchte etwa Siemens unter heutigen Bedingungen das Konzept der Gemeinwohlökonomie einzuführen, ginge der Konzern pleite, meint Biesecker. Das Unternehmen sei genötigt, hohe Renditen zu erwirtschaften, um die Aktionäre und Investmentfonds mit einer einträglichen Verzinsung bei der Stange zu halten. Sonst fehle, ruck, zuck, Kapital und dem Konzern das Geld, um neue Produkte zu entwickeln.

„Trotzdem können sich auch Konzerne grundsätzlich umstellen“, sagt Biesecker. Sie müssten ihren Kunden und Aktionären schonend beibringen, dass sie eine andere Politik verfolgen wollten. „Solche Prozesse brauchen Zeit. Aktionäre sind nicht per se gierig.“

Zu optimistisch gedacht? Die Frage bewegt im Saal des Bayerischen Rundfunks offenbar auch einige der Sparda-Mitarbeiter, die Christian Felber zuhören. Eine fragt: „Wie überzeugt man Josef Ackermann von der Deutschen Bank, dass er Ihr Konzept übernimmt?“

Felber lächelt milde. Ackermann ist kein Gegner für ihn. Das Gemeinwohlkonzept liefert auch hier die Antwort. Felber und seine Mitstreiter stellen sich einen basisdemokratischen Prozess vor, bei dem Versammlungen in Kommunen und Regionen einen nationalen „Wirtschaftskonvent“ einberufen. Der schriebe eine neue Wirtschaftsverfassung und ließe dann die Bevölkerung darüber abstimmen. Gesetze legten dann fest, dass Unternehmen mit einer guten Gemeinwohlbilanz steuerlich bevorzugt, die übrigen benachteiligt würden.

So ein Prozess fände „erstmals in der Menschheitsgeschichte“ statt, sagt Felber, für den die heutige Demokratie mit ihren, so findet er, mageren Mitbestimmungsmöglichkeiten eine „Diktatur auf Zeit“ ist. Er will mehr als einen neuen Rahmen für die Wirtschaft schaffen, ein neues Fundament soll es werden – auch für die Deutsche Bank.

■  Hannes Koch, 50, hat keine eigene Gemeinwohlbilanz in seinem Korrespondentenunternehmen