piwik no script img

Berlin an der Themse

Die ganze Tradition der Londoner Rough-Trade-Plattenläden, in denen man auch in intimen Ambiente Live-Gigs erleben kann, soll es nun auch in Berlin geben. Vor wenigen Tagen war die Eröffnung

Von Stephanie Grimm

Ein Highlight jedes London-Aufenthalts: bei Rough Trade East reinschauen, einem weitläufigen Plattenladen in einer alten Brauerei. Analog stöbern. In der gut sortierten Bücherecke browsen. Oder die Beschreibungen auf den Alben lesen – und manche Entdeckung machen. Einen Kaffee trinken. Und im Idealfall noch für eines der kleinen Konzerte bleiben, die am frühen Abend regelmäßig stattfinden. Ein Plattenladen, der ist, was er sein sollte, aber allzu oft nicht ist: ein sozialer Ort.

Leider macht London insgesamt weniger Spaß als früher – zumindest mir. Auch wenn der popkulturelle Lack dieser durchgentrifizierten Stadt vielleicht nicht ganz ab ist, scheint er doch angekratzt. Wie schön also, dass dieser traditionsreiche Laden nun auch in Berlin zu finden ist und man für einen Kurzurlaub dort nicht mehr verreisen muss.

Mittwoch, beim Termin mit dem Geschäftsführer Curt Keplin, wird hier noch eifrig gewerkelt, wir weichen zum Interview auf den Vorplatz aus. Dass in ein paar Stunden Kundschaft im Laden stehen soll, scheint schwer vorstellbar – das liegt wohl auch daran, dass die direkte Umgebung, ein ehemaliges Kauf- und Parkhaus in der Neuköllner Karl-Marx-Straße eine Großbaustelle ist. Hier wird im Lauf des Jahres ein hipper, multifunktionaler und kulinarisch interessanter Ort mit Namen Kalle entstehen, zu dem auch eine Konzertlocation gehört.

Der Rough Trade Store ist ein Vorbote. Wie auch für den Rest des Kontinents. Auch in anderen Städten auf dem europäischen Festland will Rough Trade landen mit einem ähnlichen Konzept, wie es nach Berlin exportiert wurde: Wo das funktionieren kann, erklärt Keplin, hänge nicht zuletzt davon ab, wo man bezahlbare Räumlichkeiten findet, denn diese Art von Laden braucht Platz. In Paris gab es schon einmal eine Filiale, die allerdings nicht lange durchhielt.

„Die Idee“, erläutert Keplin, „ist die Tradition und Geschichte der Londoner Läden nach Berlin zu holen. Aber eben mit einem lokalen Geschmack. Der Katalog wird ein bisschen anders sein, schließlich ist Berlin groß in Sachen elektronischer Musik. Rap ist ebenfalls wichtig.“ Es gehe ihnen darum, auch die hier heimischen Künstler zu featuren. „Das Portfolio wird jedoch wie in London sein: Schallplatten, Bücher, Merchandise, Poster und Equipment.“

Auch in Berlin kann man zeitnah zum Album-Release Mu­si­ke­r:in­nen in vergleichsweise intimem Ambiente live erleben. Für richtige In-Store-Gigs ist die Location allerdings zu klein, es gibt keinen Platz für eine Bühne. Im Laden selbst werden nur kleine akustische Konzerte und Lesungen stattfinden. Bis die Konzertlocation im Kalle fertig ist, geht es in Spielstätten in der Umgebung. So finden demnächst Rough-Trade-Gigs der Wiener-Schmäh-Rocker Wanda oder auch der Garagerock-Combo Royal Republic im Hole 44 statt – allerdings zu höheren Preisen als bei den In-Store-Gigs in UK. Tickets gibt es übrigens nur in Verbindung mit dem Kauf eines Tonträgers.

Samstagnachmittag, zwei Tage nach der Eröffnung, ist der Laden tatsächlich voll. Was vielleicht daran liegt, dass Freibier ausgeschenkt wird. Zudem ist Record Store Day – der seit 2008 alljährlich im April stattfindende Tag, an dem unabhängige Plattenläden mit exklusiven Angeboten in Erinnerung rufen, warum sie unterstützenswerte Orte sind – auch wenn der Onlinehandel oft günstiger ist.

Dass es mit dem Vinylboom eines Tages vorbei sein könnte, davor hat Keplin keine Angst: „Ich glaube, Vinyl ist zurück, um zu bleiben. Die CD ist tatsächlich nicht mehr relevant, doch es genügt den Leuten nicht, beim Streamen etwas aus ihrem Rechner zu holen. Als Fan wollen sie ein physisches Produkt haben.“

Dass es mit dem Vinylboom eines Tages vorbei sein könnte, davor hat Geschäftsführer Keplin keine Angst

Besonderer Andrang herrscht heute jedoch am Secondhandregal im hinteren Bereich des Ladens – vielleicht weil die an Klassikern orientierte Vinylauswahl im Rest des Ladens sich preislich doch am oberen Rand dessen bewegt, was üblich ist. Zwei ältere Männer, die offenbar gerade miteinander ins Gespräch gekommen sind, weil sie im selben Fach herumgegraben haben, tauschen Eckdaten aus. Worauf der eine feststellt „Ach, du bist also auch so ein Verrückter wie ich.“

Am Samstagabend fand dann noch die Eröffnungsparty im völlig überfüllten Kreuzwerk statt – in einem ebenfalls neuen Club auf dem Ritter-Butzke-Terrain. Weil wir in Berlin sind mit elektronischem Fokus. Im Hauptraum, wo sich Digitalism, Monolink und Daniel Miller, der Labelgründer von Mute, die DJ-Kanzel in die Hand geben, ist es doch eher anstrengend.

Auf dem Neben-Dancefloor bei einem Set von Discovery Zone, dem Soloprojekt von JJ Weihl, Sängerin und Bassistin der Berliner Band Fenster, liegt dagegen ein frühlingshaftes Flirren in der Luft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen