: DIE KLEINE WORTKUNDE (Sarkozysten)
Die Berliner Straßentaube, sie gehört einfach nicht hierher. Sie hat sich nie integriert, hat sich nie an die hier geltende Ordnung gehalten. Deshalb ist auch ihr Verschwinden bisher keinem aufgefallen. Die Zahl wild lebender Tauben in Berlin ist in den letzten vier Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Schuld daran sind auch die Sarkozysten.
Dabei handelt es sich nicht um radikale Anhänger des amtierenden französischen Staatspräsidenten. Sarkozysten sind Parasiten, die viele Tauben befallen und sich in ihrem Körper einnisten. Das Wort leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet in etwa „Geschwür im Fleisch“. Ein Parasit im Parasiten sozusagen. Das haben Forscher der Freien Universität nun in Experimenten an Zuchttauben herausgefunden.
Und was die Forscher auch entdeckt haben: Tauben sind für die Parasiten nur ein Transportmittel. Einmal befallen, entwickeln die Tiere merkwürdige Verhaltensweisen. Sie torkeln herum, ihre Reaktionen sind verlangsamt. So werden sie zu leichter Beute für Greifvögel. Erst wenn ein Habicht oder Wanderfalke die Taube frisst, beginnen sich die Sarkozysten zu vermehren – im Verdauungstrakt des Greifvogels. Dieser wird so zum eigentlichen Wirt der Sarkozysten und steckt mit seinem Kot neue Tauben an.
Der neu entdeckte Parasit liefert also die Taube dem Habicht aus, der dieses Schauspiel der Natur meistens unbeschadet übersteht. Die Taube hat sich immer nur scheinbar friedlich verhalten. In Wahrheit zersetzte ihr Kot die tragenden Pfeiler unseres S-Bahn-Systems. Seit Jahren versuchte die Stadt die Zahl der Tauben in Berlin zu reduzieren. Sie wurden umgesiedelt, ihre Futterstellen bekämpft. Nun krempelt auch noch ein Parasit die Ärmel hoch und räumt auf in Berlin. Von der cleveren Zombiestrategie der Sarkozysten kann man dabei sicher auch irgendetwas über Politik lernen.
CARSTEN JANKE