berliner szenen: Allein, aber in Gesellschaft
Er unterhält sich mit sich selbst oder mit jemandem, den ich nicht sehen kann, der langhaarige Mann, der auf einer Bankecke sitzt. Vor ihm stehen zwei Bierflaschen. Ein anderer Typ im Overall mit dicken Ketten um den Hals und langem Bart lädt sein Handy unter meinen Füßen und ich hoffe, dass ich nicht aus Versehen drauftrete. Ich habe an der Theke zweimal nach Snacks gefragt und sie gaben mir ein paar Erdnüsse mit jedem Bier, aber so wenig, dass die kleine Schale ganz schnell wieder leer ist. Ich traue mich nicht, nach einem Nachschlag zu fragen. Heimlich öffne ich deswegen eine Packung Chips, die ich in meiner Tasche bewahre und fülle damit die Schale auf. Ich stelle mir vor, was meine potentiellen Betrachter*innen von mir denken könnten: „Ah ja, der Chips-Freak da“, zum Beispiel.
Es ist aber unwahrscheinlich, dass mich überhaupt jemand beobachtet: Alle im Raucherraum der Kneipe in der Flughafenstraße scheinen nur mit sich selbst beschäftigt zu sein, was für mich an diesem Abend ganz gut passt. Ich wollte heute niemanden sehen und zugleich nicht alleine bei mir sitzen. Ich habe es gerne, dass um mich herum viel los ist. Ich mag es, umgeben von fremden Menschen zu sein und mich nur um mich zu kümmern, Nachrichten beantworten, lesen, schreiben. Als der Mann mit dem Pferdeschwanz zu mir kommt, mache ich deshalb eine abweisende Geste mit der Hand und versuche, kein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Mittlerweile hat der mit dem Overall eine Begleitung bei sich. Es sieht nach einem Date aus. Als ich mich anziehe, um nach Hause zu gehen, fangen die Gäste an dem langen Tisch hinter mir an, Happy Birthday zu singen. Der langhaarige Mann geht zu ihnen, stellt sich neben denjenigen, der das Geburtstagskind zu sein scheint, und singt mit.
Luciana Ferrando
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