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Archiv-Artikel

ohrenklassiker von WIGLAF DROSTE

Raymond Chandler muss man lesen, wenn man jung ist und glüht. Als ich mit 21 Jahren von Barbara Zuber Chandlers Roman „Farewell, my Lovely“ geschenkt bekam, wurde ich von seinem sprachliebenden Stil ganz ergriffen. Was konnte dieser Mann für Sätze schreiben: „Sie war eine Blondine, für die ein Bischof ein Kirchenfenster eingetreten hätte.“ Jau! Genau so eine wollte ich auch! Ich verschlang alles, was es von Chandler gab. Er war der König der Vergleiche, er schrieb süffig und bildlich plastisch, und er wusste, wie man seine Leser verblüfft, unterhält und ihren Respekt erwirbt. Über eine Nebenfigur schreibt er so leichthin, wie es nur mit langer, harter Arbeit gelingt: „Er hisste ein paar Augenbrauen, für die sich ein Bürstenfabrikant interessiert hätte.“

Eins der ersten Hörbücher, das ich mir kaufte, war Hermann Nabers 1983 für den SWR produzierte Chandler-Verhörspielung „Die Tote im See“. Erstmals hörte ich den nussknäckernden Hans Peter Hallwachs, als Detektiv John Dalmas, der über eine Sekretärin sagt: „Ihr Haar war so straff zurückgekämmt, dass ihre Stirn eine Höhe bekommen hatte, als sollte demnächst Schnee drauf liegen.“ Luxuriös sind die Nebenrollen besetzt, mit Eberhard Feik, den man im WDR-„Tatort“ als Thanner kannte, die weit bessere Hälfte von „Schimanski“ Götz George, und mit Arnold Marquis, der den meisten Deutschen als Synchronstimme von John Wayne geläufig ist (und der auch wirklich das Lied „Ich war die Stimme von John Wayne“ aufnahm). Rau erklingt das „Jau!“ von Arnold Marquis in seiner Rolle als Sheriff Tinchfield, und wenn er John Dalmas mit seiner Raspelstimme fragt, „Ist was nicht in Ordnung, mein Sohn?“ und „Wer sind Sie, mein Sohn?“, dann möchte ich der Mann sein, der so angesprochen wird.

Produkte empfehlen ist heikel, seitdem Journalismus zu 99 Prozent aus Produktempfehlungen besteht, und es gibt ja auch kaum ein Ding, das der Mensch unbedingt besitzen müsste. Nachdem ich mir aber die vom Audio Verlag opulent produzierte Prachtbox „Gefahr ist ihr Geschäft“ mit zehn Hörspielen nach Raymond Chandler kaufte, war mir äußerst wohl zu Mute. So schön und plunderfrei ist das gemacht, so wünscht man sich das Leben. Nahezu zehn Stunden kann man höchst markanten Sprechern des deutschsprachigen Hörspiels lauschen und verfallen: Wolfgang Condrus ist mein Favorit, seitdem ich ihn in Hermann Nabers Verhörbuchung von John le Carrés „Die Libelle“ hörte; Peter Ehrlich, Günther Lampe, Hellmut Lange, Günter Neutze, Horst Michael Neutze, Ulrich Pleitgen, Matthias Ponnier, Walter Renneisen, Otto Sander, Rolf Schult, Hilmar Thate, Charles Wirths und Christian Brückner geben ihre Stimmen her – und Marius Müller-Westernhagen spricht in der WDR-Produktion „Der Bleistift“ von 1976 einen Tankwart. Ach, hätte der Mann doch diesen Benzolberuf ergriffen, wie viel Belästigung und Peinlichkeit wäre uns erspart geblieben!

Das letzte Wort hat Raymond Chandler, der über einen Wirtschaftsboss schrieb: „Er kauft sich nicht einmal die Commissioner und Staatsanwälte, hat er gesagt. Sie ringeln sich bloß immer in seinem Schoß zusammen, wenn er ein Nickerchen macht.“