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Archiv-Artikel

Ozonloch – war da was?

Vor 20 Jahren berichteten britische Antarktisforscher erstmals über das Ozonloch. Inzwischen ist es ruhig darum geworden. Dabei zeigen jüngste Messungen: In diesem Frühling war die Ozonschicht auch im Norden so dünn wie noch nie zuvor

VON KARL HÜBNER

Auch wenn man wenig davon hört und liest: So schlimm wie in diesem Frühling war der Ozonabbau über der Nordhalbkugel noch nie. Lang anhaltende tiefe Temperaturen in der arktischen Stratosphäre hatten im Spätwinter großflächig für jene Bedingungen gesorgt, die notwendig sind, um das dortige Chlor für die Ozonzerstörung zu aktivieren. Das Fachblatt Nature berichtete vor kurzem über die vorläufigen Messergebnisse einer europaweiten Messkampagne. Demnach waren die Ozonverluste in diesem Frühjahr 30 Prozent höher ausgefallen als jemals zuvor.

Da sich der Ozonabbau nur in bestimmten Höhen abspielt, sprechen Fachleute bisher nicht von einem echten Loch. Aber noch nie zuvor sei man so nahe an einem solchen Loch im Norden gewesen, so Markus Rex, der als Physiker an der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung seit Jahren an Ozonmessungen über der Nordhemisphäre beteiligt ist. Besonders fatal: Anders als über der Antarktis zirkulieren die an Ozon verarmten Luftschichten nicht ausschließlich über der Polregion, sondern können im Laufe des Frühjahrs auch in südlichere Breiten bis hin nach Mitteleuropa driften.

Der Effekt ist nur vorübergehender Natur, denn das Ozon wird mit der Zeit wieder nachgebildet oder aus anderen Regionen nachgeliefert. Und dennoch: Zumindest in den Zeiten einer dünneren Ozonschicht dringt mehr UV-Strahlung auf die Erde – mit Folgen für Flora und Fauna. So erleidet etwa ungeschützte Haut schneller einen Sonnenbrand.

Aber wieso überhaupt noch ein Ozonabbau? Sind die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) nicht längst verbannt aus Spraydosen und Kühlschränken? In der Tat hat das Montrealer Protokoll dafür gesorgt, dass FCKW in den allermeisten Ländern der Vergangenheit angehören. Doch die Spätwirkungen der einstmals freigesetzten Substanzen werden noch einige Jahrzehnte anhalten. So beträgt die Chlorkonzentration in der Stratosphäre noch immer etwa das Sechsfache des natürlichen Hintergrundwerts. Und in jüngster Zeit gewinnen noch zwei weitere ungünstige Faktoren an Bedeutung: der Treibhauseffekt sowie der Einfluss bromhaltiger Verbindungen.

Wenn es in der erdnahen Troposphäre immer wärmer wird, und das deuten die aktuellen Klimadaten an, dann heißt das auch, dass sich die darüber liegende Stratosphäre immer weiter abkühlt, weil die von der Erde abgestrahlte Wärme die Stratosphäre nicht mehr in dem Umfang erreicht wie einst üblich.

Diese Abkühlung führt vor allem über den Polarregionen dazu, dass die kritische Temperatur von minus 78 Grad Celsius häufiger und länger unterschritten wird. Erst unterhalb dieses Wertes bilden sich die polaren Stratosphärenwolken (PSC), an deren Oberfläche tückische chemische Reaktionen ablaufen. Sie setzen Chlor in der Form frei, dass es Ozonmoleküle angreifen kann.

Ein Vorgang, der seinen Höhepunkt mit den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings erreicht – im Norden also im März und April, über der Antarktis im September und Oktober. „In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Ausmaß jener in der arktischen Stratosphäre vervierfacht, in denen die Temperatur kalt genug für die PSC-Bildung ist“, weiß Markus Rex von den Messkampagnen. Eine weitere Erderwärmung könnte diesen Effekt in der Stratosphäre noch weiter forcieren.

Zwar scheint die Menge an Chlor in der Stratosphäre langsam abzunehmen. Doch längst ist ein weiterer Akteur auf den Plan getreten: Brom. Das chemisch dem Chlor verwandte Element stammt zum Beispiel aus Halonen, die einst in Feuerlöschern im Einsatz waren, aber auch aus Methylbromid, für das es sowohl natürliche (Ozeane) als auch menschliche (Landwirtschaft) Quellen gibt.

Halone sind wie die FCKW aufgrund des Montrealer Protokolls inzwischen recht effektiv verbannt. Und seit Anfang dieses Jahres darf auch das Schädlingsbekämpfungsmittel Methylbromid in Industrieländern nicht mehr eingesetzt werden. Eigentlich. Denn: Auf einer Konferenz im November 2004 handelten US-Vertreter unter den Protokollpartnern aus, dass man 2005 noch fast 10.000 Tonnen Methylbromid einsetzen darf. Auch für 2006 streben die USA eine solche Genehmigung an.

Methylbromid wird hauptsächlich zur Begasung von Böden eingesetzt, bevor dort Erdbeeren, Tomaten oder Paprika gepflanzt werden. Die Substanz besticht durch ihre breite Wirkung gegen Pilze, Würmer und Insekten. Mehrere Alternativstoffe wären notwendig, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Die US-Bauern sehen daher in einem Methylbromidverbot eine Benachteiligung ihrer Wirtschaft, zumal Konkurrenten in Entwicklungsländern Methylbromid gemäß Montrealer Protokoll noch bis 2014 einsetzen dürfen.

Dieses Gerangel fällt zusammen mit der Erkenntnis, dass gerade Bromverbindungen eine wachsende Rolle beim Ozonabbau in der Stratosphäre spielen. „Der Beitrag von Brom scheint größer zu sein, als bisher angenommen“, so AWI-Forscher Rex. „Eine weitere Erhöhung der stratosphärischen Brombelastung könnte daher bedeuten, dass sich die Erholung der Ozonschicht deutlich verzögert.“ Möglicherweise wird man künftig also wieder häufiger vom „Ozonloch“ hören.