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Archiv-Artikel

Ziemlicher Kurzschluss

betr.: „Absurde Kritik“ von Robert Misik, taz vom 28. 5. 05

Misiks Kritik an der Kritik der EU-Verfassungsgegner hat selbst etwas Absurdes. Die einklagbaren Grundrechte, die er für wichtig hält, sind nett, aber nicht ganz neu. Das Thema ist in Europa seit rund 50 Jahren durch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten einigermaßen zufriedenstellend geregelt. Diese Konvention zähmt Europas Staaten sogar über die EU hinaus. Zwar mag er Recht haben, wenn er den Rest der Verfassung nicht so hoch aufhängt. Falsch wäre aber die Meinung: „Hauptsache EU-Verfassung – (fast) egal was drin steht.“ Denn einige Artikel könnten tatsächlich einklagbar sein, z. B. im Sinne einer „Dienstleistungsrichtlinie durch EU-Verfassung“. Und Demokratie sieht für mich auch anders aus.Das „Ein Mensch – eine Stimme“-Prinzip wird in Europa nicht durchgesetzt. Dafür übersieht er ein viel wichtigeres Problem der Abstimmung. Sollte Frankreich „Nein“ sagen, wäre die dazu passende Legende wohl: „Die EU-Verfassung starb an einem Pfingstmontag in Frankreich!“ Das wäre verkürzt, aber auch nicht ganz falsch, zumal die Werbung für ein „Ja“ offenbar ungestört dauersenden durfte. Und es hätte unabsehbare langfristige Folgen für die Weiterentwicklung der direkten Demokratie in ganz Europa.

FRANK BOKELMANN, Hamburg

Natürlich hat Misik Recht, wenn er darauf hinweist, dass die Verfassung, Marx gemäß ausgedrückt, nichts als der ideologische Rechtfertigungsgrund, das paraphrasierte Quidproquo Europas ist und sich an der europäischen Politik dadurch praktisch nichts ändert. Daraus allerdings abzuleiten, dass man dann eh gleich dafür sein kann, ist ein ziemlicher Kurzschluss. Zumal Misik sich selbst als Idealist allenthalben krampfhaft abmühen muss, gerade die in dem Schriftstück unverblümt niedergelegten Ziele – ökonomischer Erfolg aufgrund verstärkter Ausbeutung und militärische Aufrüstung, beides zum Zwecke der Weltmachtkonkurrenz – mit ein paar Phrasen und Gemeinplätzen, die auch drinstehen, sowie eigenwillig selbst hinzugefügten Interpretationen kleinzureden.

In Frankreich ist es jetzt offenbar weitgehend gelungen, dem Euro-Imperialismus die idealistische Maske vom Gesicht zu reißen. Das ist nicht viel, aber besser als ein Blankoscheck für die Macher allemal. WOLFGANG RICHTER, Augsburg