AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON JÖRG SUNDERMEIER
: Mit dem Zufall durch das Wochenende

Was so passiert, wenn Künstlerinnen und Künstler in der Welt nur sehen, was sie sich vorher ausgedacht haben

Siehst du, Kunst tut nicht weh“, sagt M. ohne Herablassung. Ich hatte zuvor behauptet, dass ich zwar über Literatur und Musik, nicht aber gern über Kunst sprechen mag, da ich den Kanon nicht kennte und die Zeichen nicht wirklich lesen könne. Der Kurator der interessanten Ausstellung in der No Galerie beschwichtigte: „Beschreib einfach, was du siehst.“ Der Freitag hatte also gut angefangen, obschon ich pitschnass war, weil es gerade wie aus Eimern schüttete, als ich die U-Bahn verließ.

Ich wollte an diesem Abend alles dem Zufall überlassen – und M. und M. und der Zufall waren sehr gnädig. Vor der Galerie lernte ich den Sohn eines verstorbenen Schriftstellers kennen. Dieser konnte mir, dem Fan seines Vaters, einiges über aktuelle Editionspläne erzählen. Derart berauscht von Literatur und Kunst folgte ich M. in die NGBK, dort aber widmete man sich in einer Gruppenausstellung zu oberflächlich dem Thema Knast.

Künstlerinnen und Künstler sehen, wenn sie in die Welt gehen, oft nur die Welt, die sie sich vorher ausgedacht haben. Diese Ausstellung demonstrierte das mehrfach. Bücher, die im Knast entstanden, wurden etwa gezeigt, und dort standen dann Gramscis Gefängnishefte neben „Mein Kampf“. Welcherart die Festungs- also Ehrenhaft des Naziführers im Vergleich zur Schindung des italienischen Kommunisten war, bleibt im Dunkeln. Die Aussage auch.

In der NGBK übernimmt K. die Führung und überzeugt durch unverhohlenen Hass auf den Kulturbetrieb. Dennoch wäre es falsch, weil ein Verlust für uns, gäbe sie das journalistische Schreiben völlig auf. Ihr derzeitiger Job aber erlaubt ihr immerhin ein wenig Erholung vom Ausgehen und Rumstehen. S., ein Leipziger, den ich zufällig treffe, outet sich als Verleger, der von Leidenschaften getrieben wird. Dass einer seiner Autoren zukünftig bei einem Großverlag veröffentlichen wird, empfindet er nicht als Verrat, dennoch wurmt es ihn. Will er aufgeben, wie viele andere Kleinverleger in den letzten Wochen? „Niemals“, ruft er aus. „Das wäre nun wirklich verräterisch!“ Wir überlegen uns, was er mit 80 Jahren zu dem Thema sagen wird. Das, was wir uns überlegen, klingt gut.

Weiter geht es zur Spex-Party ins West Germany, überhitzter Raum, überhitzte Leute. Wieder ein zufälliges Treffen, ein Mainzer, der aber „sofort gehen muss, leider“.

M. und er erkannten sich zunächst nicht. Lachen. Er nahm dann doch noch ein Bier. W. schimpfte zu Recht auf alle Zeitungen, auch auf die taz. Das Feuilleton der Berliner Zeitung ist vollständig versammelt und bester Laune. Kurzer Streit mit M., der, wie sich dann herausstellte, auf einem Missverständnis basierte. Zu viel Alkohol. Langsamer Rückzug. Am Samstag dann kleine Privatparty bei E., in den Geburtstag feiern, ruhig und auch schön. Sonntagmittag Matinee im Kreuzberger Moviemento, ein Film über die Chemnitzer Jahre von Irmtraud Morgner wurde gezeigt.

Ein ziemlich guter Film, was nicht unbedingt zu erwarten war. Gerade bei toten Autorinnen neigen viele dazu, ihr Leben gegen ihr Werk auszuspielen, und sie zu reinen, dummen Opfern zu stilisieren. Eine Jugendfreundin von Morgner saß im Publikum, es wurde über die DDR gesprochen, und die politische Entscheidung für sie. Morgner und ihre Jugendfreundin hatten eine „neue Welt“ aufbauen wollen, betonte die Freundin, und obschon es ihnen nicht gelungen ist, bedauert sie diese Absicht keineswegs, im Gegenteil. Der Nachmittag schließlich sieht mich im Körnerpark, in dem wohl schönsten Gartencafé Berlins. Danach schaue ich Harry Potter auf DVD und begeistere mich wieder für Ralph Fiennes. Sich treiben lassen und kaum Zeit verschwenden. Wie schön.