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Archiv-Artikel

„Voller Widersprüche“

VORTRAG Historische Verdienste und aktuelle Probleme des ANC in Südafrika werden beleuchtet

Ben-Khumalo Seegelken

■ stammt aus Südafrika, trat 1983 dem ANC bei, erhielt 1975 politisches Asyl in Deutschland und war 1984 bis 1997 Pastor in Grevenbroich.

taz: Hierzulande ist der African National Congress (ANC) immer noch vor allem ein Symbol für die Befreiung und den Aufstieg der Schwarzen. Zu Recht?

Ben-Khumalo Seegelken: In den 100 Jahren seiner Geschichte war der ANC über 80 Jahre eine Protest- und Widerstandsbewegung, seit 20 Jahren ist er aber eine Regierungspartei. Da kann das Bild des ANC kein einheitliches sein. Es ist voller Widersprüche. Die Organisation steht nach wie vor für eine Politik, die Unrecht ablehnt. Aber es gibt Menschen in der Regierungspartei, die ihre Position, ihre Macht, die so schwer errungen wurde, missbrauchen. Der ANC muss immer wieder an seine Grundsätze erinnert werden, damit die Unzulänglichkeiten nicht überhandnehmen können.

Welche Unzulänglichkeiten zum Beispiel?

Die Hoffnungsträger und Wegweiser von einst sind heute Gesetzgeber und Haushaltschefs, ihre Gesetze und der Umgang mit den anvertrauten Mitteln stehen aber immer wieder im Widerspruch mit den eigenen Grundsätzen. So ist die angekündigte Landreform bis heute leer geblieben, die Fehler aus der Kolonial- und Apartheidszeit wurden hier noch nicht behoben. Auch gibt es Pläne, die Pressefreiheit empfindlich einzuschränken – das erinnert an die Zustände, die der ANC selber zu Recht bekämpft hat.

Der ANC hat eine Politik der positiven Diskriminierung eingeführt. Mit welchem Erfolg?

Es ist zu begrüßen, dass die ANC-Regierung versucht hat und versucht, das Gefälle zugunsten der schwarzen Bevölkerungsmehrheit umzukehren. Das ist ein lobenswerter Versuch, der aber nicht frei von Problemen ist, die korrigiert werden müssen. Der Grundsatz, dass etwas Tiefgreifendes zugunsten der Bevölkerungsmehrheit unternommen werden muss, bleibt richtig.

Derzeit gibt es Massenproteste gegen die Regierung. Steht die unangefochtene Dominanz des ANC auf der Kippe?

Das würde ich nicht sagen. Aber es gibt eine ernstzunehmende Opposition aus dem ANC-Lager. Die Stimme der Enttäuschten aus vielen Bereichen wird hörbarer, das Bewusstsein für Unrecht ist nach wie vor sehr groß in Südafrika. Die überwältigende Mehrheit des ANC wird bei den nächsten Parlamentswahlen 2014 nicht unangetastet bleiben. Das kann aber nur im Sinne der Sache sein. INTERVIEW: JAN ZIER

19 Uhr, forum kirche, Hollerallee 75