Hinter den Mauern

AUSSTELLUNG Die Ästhetik von Landminen und versteckte moderne Sklaverei beschäftigen den Fotografen Raphaël Dallaporta. Seinen ausgefeilten Bildern stehen Schnappschüsse aus Stasi-Unterlagen gegenüber

In der Tradition militärischer Aufklärung lieferte die Lenkdrachen-Kamera Bilder

Rund 600 Typen von Landminen gibt es weltweit, weiß der französische Fotograf Raphaël Dallaporta zu berichten. Eine Auswahl von 35 hat er in betörenden farbigen Fotoabzügen wie edelste Pretiosen präsentiert und jeweils mit einem Text zu ihrer nationalen Herkunft und technischen Funktion, wie Sprengstoffmenge und Wirkungsweise, ergänzt. Diese erste, spektakuläre Arbeit Dallaportas aus dem Jahr 2004 ist momentan, einer Sammlung in Lausanne entliehen, im Museum für Photographie in Braunschweig zu sehen.

Wie viele seiner Altersgenossen vertraut Dallaporta, Jahrgang 1980, aber nicht mehr auf die inhaltliche Evidenz des fotografischen Bildes. Aufnahmen in perfekt inszenierender Weise zu erzeugen, das hat er an der Gobelins Ecole de l’image in seiner zweijährigen Ausbildung gelernt. Die Ästhetik persuasiver Werbe- und Sachfotografie benutzt Dallaporta nun, um nicht sichtbare, kollektiv verdrängte Phänomene sichtbar zu machen: Die Landminen sollen ihre mörderische Aufgabe ja gerade im Verborgenen erfüllen, unberechenbar und zur Abschreckung noch viele Jahre nach Ende eines Krieges. Als moderne Vanitas-Symbole habe er sie inszeniert, so Dallaporta, wie Luxusgüter.

Mit dem präzis recherchierten Text zur Seite gestellt, zeigte Dallaporta 2006 auch Formen moderner Sklaverei auf. Seine frontal angelegten Architekturfotografien gelten lediglich Pariser Wohngebäuden – vom bescheidenen Einfamilienhaus bis zur mondänen Suite an den Champs-Elysées. Hinter ihren Mauern ereigneten sich aber, teils über Jahre versteckt, menschenverachtende Arbeitssituationen, deren Opfer in der Regel junge, rechtlose Afrikanerinnen waren.

Von den Delikten hat Raphaël Dallaporta aus dem „Comité contre l’esclavage moderne“ erfahren, seine Informationen sind aber international und thematisch vielfältig. In den Jahren 2010/11 entstand in Afghanistan seine aktuelle Serie „Ruins“, sie zeigt Luftaufnahmen aus der Balkhab-Region nordwestlich Kabuls. In der Tradition militärischer Aufklärung lieferte ihm die Kamera am Lenkdrachen Bilder einer archäologisch wie geostrategisch gleichermaßen fokussierten Landschaft: Ihre großen Rohstoffreservoire harren der Erschließung.

Diesen eindringlichen, technisch ausgefeilten Bildreihen stehen im Museum für Photographie lapidar anmutende Schnappschüsse gegenüber. Museumsleiter Florian Ebner folgte erneut seinem Konzept, einer bereits etablierten Position eine unbekanntere Haltung oder Diplomarbeit entgegenzustellen. Die Fotografien hat Jens Klein, Jahrgang 1970, nach einer Berufstätigkeit im sozialen Bereich derzeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig das Studium abschließend, seit 2009 den Stasi-Unterlagen entnommen.

Sie zeigen beispielsweise einen Briefkasten, dessen zahlreiche Benutzer einer ziellosen Dauerüberwachung unterliegen. Die Aufnahmen per Teleobjektiv suggerieren in ihrer Unschärfe schwierigste Entstehungsbedingungen von staatsschützender Dringlichkeit.

Aus dem politischen Kontext entfernt, ohne Kommentar dessen, was die Bilder vormals belegen sollten, offenbaren sie jetzt nur die unfreiwillige Skurrilität eines paranoiden Gesellschaftssystems, das alles oder jeden unter Konspirationsverdacht stellte. Eine Fotografie zeigt also noch gar nichts, sie legt allenfalls eine mitunter trügerische Fährte in die Realität. BETTINA MARIA BROSOWSKY

„Observationen“ Raphaël Dallaporta / Jens Klein: bis zum 27. Mai im Museum für Photographie Braunschweig