wortwechsel: Kein Schrei, Uneinsichtiger! Die große Diskurs-Sabotage
„Bitte nicht so emotional!“ Ein beliebter Ordnungsruf in akademischen – weißen – Kreisen. Zorn und Verzweiflung – disqualifiziert? Enden Dialoge oft bevor sie begonnen haben?
„Nahost-Debatten in Deutschland: Kein Freiraum für Kritik. Der Vorwurf des Antisemitismus wird in Deutschland inflationär verwendet. Progressive Arbeit mit Menschen aus dem Globalen Süden wird so schwierig“, taz vom 15. 3. 24
„Begegnung und Streit“
das war das mit abstand beste schlagloch seit langem: ilija trojanows „kein freiraum für kritik“. allerdings: eingerahmt von einem großen fragezeichen. „empathie für alle opfer und empörung gegenüber allen tätern“ und „wer die verbrechen der hamas gutheißt oder die israelischen angriffswellen rechtfertigt, hat an seiner seele schaden genommen“. zum schluss: „die antwort auf boykott kann nur begegnung, diskurs und streit sein“. genau deshalb aber war und ist es meiner Meinung nach ein fehler, die besprochene veranstaltung (die global assembly) abzusagen, quasi sich selber zu canceln. die gefahr gegenseitiger beschimpfungen und verwerfungen hätte man oder frau in kauf nehmen müssen. Uwe Fischer, Berlin
„Angst“, dass unter der anti-antisemitischen Fassade eine Art brauner Kern zum Vorschein kommen könnte – darum scheint es zu gehen. Aber die Angst ist unberechtigt. Eine Leserbriefschreiberin in der israelischen Zeitung Ha’aretz schrieb kürzlich, dass sie jahrzehntelang von der Frage besessen war, was der „böse Kern“ Deutschlands war. Schließlich, schrieb sie, musste sie erkennen: es gibt ihn nicht, sondern zu so Bösem ist jede Gesellschaft potentiell fähig. Nach 26 Jahren im Ausland rate ich meinen „Landsleuten“: Relax! Ihr seid weder besser noch schlechter als andere Mitbewohner dieser Erde. Setzt euer moralisches Empfinden, eure Empathie und euren gesunden Menschenverstand ein und drückt euch entsprechend aus. Ihr habt das Recht dazu!
Deutschfranzose auf taz.de
… statt der Verbannung
Der dekontextualisierende „Schnellkochtopf“ der click bait rules, der öffentlichen Erregung produziert Zerrbilder (und auch eine Menge willentliches und wissentliches Missverstehen).
Für Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Aktivist*innen aus dem Globalen Süden kann das allerdings reale negative Konsequenzen bei zukünftigen Visa-Anträgen oder Bewerbungen haben. Für die Veranstalter*innen steht die Förderung auf dem Spiel (oder auch nur die Möglichkeit, Räume zu mieten), ohne die diese Austauschformate gar nicht stattfinden können. My Sharona auf taz.de
Wem es um einen nachhaltigen Frieden geht, sollte doch, wer ein „Ceasefire Now“ Schildchen trägt, auch das Schildchen „Free the Hostages“ tragen können. Ein Problem vieler Veranstaltungen zum globalen Süden ist aber, dass sogar Hamas kritische Schilder lautstark entfernt werden. Das lässt Antisemitismus vermuten, denn eine kritische Auseinandersetzung zum Leid der Juden im globalen Süden gibt es kaum. Petcat auf taz.de
Ich danke für diesen Kommentar.
Der öffentliche Diskurs hat auch bei anderen Themen an Schärfe gewonnen. Überspitzt gesagt: wir schreien uns seit Jahren nur noch an. Erstaunlicherweise scheinen sich dabei die selbsterklärten Vertreter der Mitte und die AfD die Bälle zuzuspielen. Das ist umso ärgerlicher, weil der öffentliche Diskurs dabei ein Eigenleben entwickelt hat, das wenig mit der öffentlichen Meinung zu tun hat. Wie es in dem Artikel ja heißt: die meisten Menschen sind durchaus in der Lage, differenziert zu denken – nur leider werden sie von den Maximalisten jeglicher Couleur überbrüllt. O.F. auf taz.de
Staatsverbrechen
Wie Trojanow schreibt – der automatisierte Vorwurf des Antisemitismus ist Zensur, sobald es um die Kritik an der Politik des Staates Israel geht. Diejenigen die behaupten es sei nicht so, denn man könne dem ja mit Argumenten begegnen, müssten wissen, dass das nicht stimmt, da mit diesem Vorwurf eine Diskussion verhindert wird, denn mit Antisemiten redet man ja nicht. Es ist erbärmlich, wenn wegen dieses befürchteten Vorwurfs nun Selbstzensur geübt wurde, indem man die geplante Veranstaltung gleich selbst abgesagt hat. Manuela Kunkel, Stuttgart
„Kein anderes Land“, taz vom 16. 3. 24
Sie können sich kaum vorstellen, Herr Wellisch, mit welcher Freude ich Ihren Bericht gelesen habe. Ja, die Palästinenser in Masafer Yatta haben in der Tat „no other land“, wo sie hinziehen könnten, um der täglichen Gewalt der Siedler und der Armee zu entgehen. Ihr Bericht aus At Tuwani mit dem Ziel, die deutsche Öffentlichkeit über die Lage in Masafer Yatta zu informieren, deckt sich mit dem Programm „Come and see – go and tell!“ des Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel, das der Weltkirchenrat auf Bitten der christlichen Kirchen in Jerusalem im Jahre 2002 aufgelegt hat. Inzwischen waren mehr als 1.800 Freiwillige aus mehr als zwanzig Ländern dort und haben von ihren Erlebnissen berichtet. Diese Dokumente werden von der UNO und den nationalen Regierungen aufmerksam registriert – und doch sind sie kaum ins öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Sie sind nun „ans Ende der Welt“ gefahren, wo kaum ein Journalist je hinzufahren wagt. Bagger zerstören unter Begleitung des Militärs lebenswichtige Zisternen, reißen Häuser und Viehställe ab, Siedler weiden ihre Schafherden unter dem Schutz eines Militär-Helikopters auf sprießenden Getreidefeldern und stecken Claims auf palästinensischem Land ab, um darauf einen Außenposten zu errichten. Unter dem Druck der Siedler haben im Schatten des Gaza-Kriegs die 200 Bewohner ihr Dorf Zanuta verlassen. Daraufhin wurde es von der Armee dem Erdboden gleichgemacht, darunter auch eine mit EU-Geldern finanzierte Schule. Ganz zentral ist eine weitere Botschaft im Ihrem Artikel: In At-Tuwani gibt es auch jüdische Israelis, die die Siedlungspolitik für nicht vereinbar mit dem jüdischen Glauben halten. Es ist zu hoffen, dass, Ihrem Beispiel folgend, weitere Journalisten nach Masafer Yatta fahren, darüber berichten und so zu einem gerechten Frieden im Heiligen Land beitragen.
Theodor Wahl-Aust, Düsseldorf
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