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Archiv-Artikel

Kirchner will Kohlenwasserstoffe kontrollieren

SOUVERÄNITÄT Argentiniens Präsidentin Kirchner erklärt alle Aktivitäten im Erdöl- und Erdgasbereich zum nationalen Interesse

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner redete Klartext. Die Ölfirma YPF – Yacimientos Petrolíferos Fiscales wird enteignet. Am Montag hat sie die Übernahme des größten Privatunternehmens des Landes ankündigt. Demnach soll der spanische Konzern Repsol seinen Mehrheitsanteil von 51 Prozent an dem Unternehmen an Argentinien abgeben. Dem Kongress wird umgehend ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt, verkündete Frau Kirchner in einer Sondersendung aller Radio- und Fernsehanstalten. Für Repsol-YPF bedeutet dies faktisch das Aus. Nur seine restlichen 6,5 Prozent darf der spanische Multi behalten.

Argentinien sei das einzige südamerikanische Land, das keine Verfügungsgewalt über seine Erdöl- und Gasvorkommen habe, so Cristina Kirchner. Nach dem Willen der Präsidentin „geht es nicht um die Verstaatlichung, sondern um die Wiedergewinnung der Souveränität und Kontrolle über die Kohlenwasserstoffe“. Das Gesetzespaket trägt denn auch offiziell den Titel „Kohlenstoffliche Souveränität der Republik Argentinien“. Um den Weg für die Aneignung der Aktienmehrheit frei zu machen, erklärte sie alle Aktivitäten im Erdöl- und Erdgasbereich als im „öffentlichen nationalen Interesse“.

Die Anfang des vergangenen Jahrhunderts als staatliches Unternehmen gegründete Ölfirma war jahrzehntelang ein Aushängeschild der argentinischen Wirtschaft. YPF (frei übersetzt: staatliche Ölvorkommen) galt in den Nachbarländern als erfolgreiches Modell einer staatlichen Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen. In den 1990er Jahre wurde das Staatsunternehmen von dem damaligen Präsidenten Carlos Menem stückweise an Repsol verkauft. Befürworter der Privatisierung waren der damalige Gouverneur der Erdölprovinz Santa Cruz und seine Ehefrau, Néstor und Cristina Kirchner.

Bereits 2008 verkaufte Repsol auf Druck des gerade aus dem Amt geschiedenen Präsidenten Néstor Kirchner einen knapp 15-prozentigen Anteil an YPF an die argentinische Ölfirma Petersen Energía SA. Petersen Energía ist Eigentum der mit den Kirchners befreundeten Familie Eskenazi. Für den Kaufpreis von gut 2,2 Milliarden Dollar musste die Petersen Energía jedoch keinen eigenen Cent aufbringen. Gut eine Milliarde wurde durch einen Kredit bei mehreren internationalen Banken abgedeckt. Der andere Teil ist eine Anleihe bei Repsol selbst. Beide, Kredit und Anleihe, sollen und werden durch die zukünftigen Dividenden der Aktien zurückgezahlt. Irritierend, aber wahr, der spanische Multi bezahlt seinen Teilverkauf noch heute mit seinen Gewinnen. Im Mai 2011 erwarb Petersen Energía weitere 10 Prozent.

Warum der spanische Konzern in diesen ungewöhnlichen Deal einwilligte, ist nicht bekannt. Möglicherweise wollte das Unternehmen dem vorbeugen, was ihm in den letzten sechs Wochen widerfuhr. Eine Ölprovinz nach der anderen entzog ihr wichtige Bohr- und Förderkonzessionen auf ihren Territorien.

In Argentinien sind die Bodenschätze Eigentum der Provinzen, in denen sie lagern. Die Konzessionen sind jedoch überwiegend im Besitz ausländischer Förderfirmen. Für Repsol-YPF muss es ein lohnendes Geschäft sein. Nach eigenen Angaben liegen die Produktionskosten bei rund 7 Dollar pro Fass Öl. An die Raffinerien wird es für etwa 50 Dollar verkauft.

Dass die Regierung jetzt so drastisch die Reißleine zieht, hat noch andere Ursachen. Argentinien hat sich mittlerweile in einen Nettoimporteur bei Gas und Öl verwandelt. Mit einer Power-Point-Präsentation verdeutlichte die Präsidentin ihren Landsleuten am Montag die Situation. Bunte Grafiken mit fallenden Kurven flimmerten über die heimischen Bildschirme. Der Saldo von Im- und Export machte 2011 ein Defizit von 3 Milliarden Dollar aus. Für dieses Jahr werden die Importe auf einen Wert von 14 Milliarden Dollar geschätzt. Ein immenser Devisenabfluss, für den die Regierung in erster Linie die mangelnden Investitionen der Privatfirmen in die Ausbeutung der Lagerstätten im eigenen Land verantwortlich macht, allen voran Repsol.

Enteignet werden denn auch nur 51 Prozent des 57,5-Prozent-Aktien-Anteils von Repsol-YPF. Die etwa 25 Prozent der Petersen Energía bleiben ebenso unangetastet wie die auf dem Markt verteilten 17 Prozent. Der noch verbliebene winzige Staatsanteil von einem halben Prozent macht die 100 Prozent voll.

Einmal in staatliches Eigentum übergegangen, wird das 51-prozentige Aktienpaket von einer neuen Bundesbehörde verwaltet. 26,01 Prozent der Anteile bleiben Eigentum des Nationalstaates, 24,99 Prozent werden an die Erdöl produzierenden Provinzen des Landes verteilt. Einem erneuten Verkauf der staatlichen Anteile muss zukünftig der Kongress mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen.

Wie entschlossen die Regierung von Cristina Kirchner ist, bewies Planungsminister Julio de Vido schon kurz nach der Rede der Präsidentin. Mit einem frisch unterzeichneten Dekret betrat er die Repsol-YPF-Führungsetage, ließ mehrere Direktoren ihren Rücktritt erklären und übernahm als Revisor die Geschäftsführung für die kommenden 30 Tage. In dieser Zeit muss die Enteignung der 51 Prozent der Aktien abgeschlossen sein. Den Wert der Aktien soll die nationale Schätzungskommission bestimmen.

Womit die Übernahme bezahlt werden soll, ließ die Präsidentin offen. Möglicherweise mit Geldern aus dem Vermögen der Ende 2008 verstaatlichten Rentenkassen oder aus den Reserven der Zentralbank. Der Kongress wird der Übernahme mit Sicherheit zustimmen. Nicht nur, weil die Regierung in beiden Kammern über die Mehrheit verfügt. Sondern auch, weil aus der verbliebenen Opposition Beifall kommt. Selbst vom äußerst regierungskritischen Pino Solanas kommt Zustimmung. „Heute ist nicht der Tag, das Kleingedruckte zu lesen, heute ist ein Tag zum Feiern“, sagte der Parlamentsabgeordnete.

Für Repsol ist das Vorgehen der argentinischen Regierung illegal und diskriminierend. Die spanische Regierung zeigte sich extrem verärgert. Nachdem bereits vergangene Woche die Spekulationen ins Kraut schossen und in der argentinische Medienlandschaft die staatliche Übernahme bereits nur noch eine Frage von Stunden war, hatte sich die Regierung in Buenos Aires wohl nach einem Anruf von EU-Präsident Manuel Barroso zunächst in Schweigen gehüllt.