„Freiwillig passiert nichts“

Der Krefelder Umweltmediziner Ulrich Woestmann über Herzinfarkte durch Autoabgase und warum der Einfluss von Umweltschäden auf die Gesundheit totgeschwiegen wird

taz: Die neue Studie im Ruhrgebiet macht Feinstäube für Herzinfarkte verantwortlich. Eine Überraschung?

Ulrich Woestmann: Das ist schon lange offensichtlich, es wurde nur unter den Tisch gekehrt. Jeder Arzt in Ballungsgebieten sieht, dass die Nähe zu Autoabgasen Herzinfarkte und Krebs begünstigt.

Was bewirken denn zum Beispiel die Abgase oder Industrierauch?

Die Rußpartikel setzen sich auf die kleinsten Lungenbläschen und verstopfen sie. Kleine Arterien werden so zugekleistert. Dieser Sauerstoffmangel führt dann zu Krebserkrankungen und Herzinfarkten.

Aber jetzt gibt es die strengeren EU-Richtlinien zu Feinstäuben in der Luft. Werden die Menschen hier wieder gesünder?

Das sind doch alles Regelungen auf dem Papier. Was passiert ist viel zu wenig, die Städte wollen sich rausmogeln. So lange Bürokraten darüber entscheiden, wird nichts passieren. Wir brauchen mehr Mediziner in allen Gremien.

Was würden diese den Städten raten, um das Herzinfarktrisiko der BürgerInnen zu senken?

Die Lastwagen müssen aus den Innenstädten raus, alle Diesel müssen nachgerüstet werden. Die Städte müssen eine Innenstadtmaut erheben, wie sie in London bereits sehr erfolgreich existiert. Einen freiwilligen Verzicht wird es nicht geben.

Warum wurde das Gesundheitsrisiko von Feinstäuben so lange geleugnet?

Das ist eine Schutzfunktion. Wenn man diesen Zusammenhang sieht, müsste sich das gesamte Lebensumfeld ändern, das Verhalten jedes einzelnen an jedem Tag. Aber die Menschen wollen lieber bequem zur Arbeit fahren und eine Zigarette rauchen. Jeder kennt das Risiko.

Auch die Natur kann schaden, zum Beispiel durch Allergien wie Heuschnupfen.

Das ist ein Irrtum! Nicht die Pollen schaden, sondern die Industrie: Sie hat die Pollen mit Blei und Benzol so weit in ihrer Struktur verändert, dass sie jetzt Heuschnupfen auslösen. Die Natur schlägt nur zurück.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES