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Archiv-Artikel

Eis mit Punkten

Marc Lewis‘ Videos und Louise Lawlers Installation im Kunstverein

von Karin Liebe

Ein Mann mäht Rasen. Auf einem großen, schulhofartigen Gelände bewegt er sich langsam an der Rasenkante entlang. Dann verschwindet er mit seiner Maschine, um nach kurzer Zeit erneut für ein paar Sekunden im Bild zu erscheinen.

Ein denkbar unspektakuläres Ereignis ist es, das die Kamera von Marc Lewis hier einfängt. Aber wie alle zunächst unscheinbaren Minifilme des 1957 in Kanada geborenen Künstlers hat auch dieser einen doppelten Boden. Hier ist der Überraschungseffekt ein Schatten, jenseits der Rasenfläche aufs Pflaster geworfen. Er lässt ein Baugerüst erahnen, auf dem eine oder mehrere Gestalten Bretter hin und her tragen. In dieser Szene findet die eigentliche Bewegung statt: jenseits der sichtbaren Realität.

Neun dieser Minifilme zeigt der Kunstverein jetzt im Rahmen der 3. Triennale der Photographie. In dieser ersten umfassenden Einzelpräsentation des in London lebenden Künstlers wird deutlich, wie schmal der Grat zwischen bewegten und unbewegten Bildern ist. Oft ändert Lewis seinen Kamerastandpunkt nur minimal, manchmal gar nicht. Dennoch wirken die häufig aus der Vogelperspektive aufgenommenen Filme ohne erkennbare Handlung nicht statisch, sondern entfalten einen meditativen Sog.

Bei Algonquin Park, Early March zum Beispiel denkt man zunächst, der Loop werde nicht funktionieren. Die Wand bleibt lange Sekunden weiß, bis ganz unten auf dem Bild ein paar Baumspitzen auftauchen, sich langsam höher schieben und im Wind wiegen. Dann plötzlich ein Bruch: Während man immer noch auf das untere Bildviertel starrt, tauchen ganz oben und links weitere Bäume auf. Dann geht alles ganz schnell: Auf dem rechten Bildrand schimmert eine Eisfläche, darauf ziehen winzige schwarze Punkte sanfte Kreise. Zeit und Raum lösen sich bei Lewis auf sehr ästhetische, suggestive Weise in neue, überraschende Perspektiven auf.

Auch die US-amerikanische Künstlerin Louise Lawler eröffnet neue Sichtweisen auf den Raum – bei ihr ist es der Ausstellungsraum. Im Rahmen der Reihe „neue produktion: new production“ hat der Kunstverein der Institutionskritikerin das Untergeschoss zur Verfügung gestellt. Hier zeigt die 1947 geborene Künstlerin ihre Installation „MoMa in Hamburg“. Direkt auf die weiße Raufasertapete des Kunstvereins hat sie zwei Fotos von Ausstellungsräumen des New Yorker Museums für Moderne Kunst aufgetragen. Der Ausstellungsraum wird so zum Bildträger der Fotos. Diese legen durch ungewöhnliche Perspektiven Schichten zwischen Gemälden und Gebäudeelementen frei und hinterfragen das Verhältnis von Kunst und Ausstellungsraum.

Di–So 11–18, Do 11–21 Uhr, Kunstverein, Klosterwall; bis 3. 7.