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Archiv-Artikel

Abgang des Zauderers

Das Präsidium des VfB Stuttgart entlässt Trainer Matthias Sammer. Sein Verhältnis zu Teilen der Bundesliga-Mannschaft galt als gestört. Nun ist unter anderen Christoph Daum im Gespräch

AUS STUTTGART OLIVER TRUST

Erwin Staudt ist ein Manager aus der Wirtschaft. Deutschland-Chef des Computerriesen IBM war er jahrelang. So einer hält sich gerne an Fakten fest. Das gibt der Präsident des VfB Stuttgart auch offen zu. Unüberlegte Bauchentscheidungen, die es in seinem neuen Berufsalltag zuhauf gibt, scheut der korrekte Schwabe Staudt. Am Freitagvormittag aber hatte Staudt alles zusammen, was er brauchte, um eine Entscheidung von Tragweite zu treffen. Die Schwaben trennten sich von ihrem Trainer Matthias Sammer nach nur einer Saison – „im Guten“, wie Staudt es ausdrückte.

Wer Nachfolger des ehemaligen Dortmunder Trainers und Bundesligaprofis wird, steht noch nicht fest. Neben Ottmar Hitzfeld werden Walter Schachner (Grazer AK), Dänemarks Nationaltrainer Morten Olsen und Christoph Daum (Fenerbahce Istanbul) als Kandidaten genannt. Schachner und Daum sollen ganz oben auf der Liste stehen. Vor allem Aufsichtsratschef Dieter Hundt favorisiert offenbar den ehemaligen Stuttgarter Trainer Daum, dessen Name auch in Spielerkreisen kursiert. Daum müsste aus einem gerade erst verlängerten Vertrag herausgekauft werden. Uwe Rapolder, mit dem in den vergangenen Wochen heftig geflirtet worden war, steht beim Aufsteiger 1. FC Köln im Wort.

Matthias Sammer selbst war gestern Nachmittag nach Auskunft der Pressestelle des VfB nicht zu einer Stellungnahme bereit. Er weile in seinem Haus bei seiner Familie, teilte Staudt mit. Gegen zehn Uhr am Vormittag sei die gemeinsame Entscheidung zur Trennung nach einem 90 Minuten langen Gespräch gefallen. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass Matthias Sammer sehr überrascht war“, sagte Staudt. Sammer habe mitgetragen, dass der Klub nun einen Neustart anstrebe.

Staudt informierte sofort nach der Entscheidung telefonisch die meisten VfB-Spieler. Torwart Timo Hildebrand zeigte sich „schockiert und total überrascht“. Stürmer Kevin Kuranyi meinte: „Es ist schade, dass Sammer keine zweite Chance erhält“. Kuranyi hatte sich zuletzt über mangelnde Rückendeckung von Sammer beschwert und mit Weggang gedroht. Ligakonkurrent Schalke 04 gilt als wahrscheinliche Umzugsadresse.

Sammers gestörtes Verhältnis zu großen Teilen der Mannschaft war auch Staudt nicht verborgen geblieben. Zu zaudernd trat Sammer auf, jede seiner Entscheidungen war von Bedenken begleitet, und so fehlten am Ende Spaß und Frische. Bald kamen Klagen aus Team und Umfeld, Sammer trainiere zu lasch. Tatsächlich lebte die Mannschaft lange von den Grundlagen, die Sammers Vorgänger Felix Magath gelegt hatte. Sammer überwarf sich mit Führungsspielern im Team und brüskierte Nationalverteidiger Andreas Hinkel, indem er ihn nicht in den Mannschaftsrat berief.

Zu lange hatte Sammer auf Verständnis und Einsicht der Jungstars gehofft. Viel zu lange, wie sich am Ende herausstellte. Der Stuttgarter Klub sah sich plötzlich einer Flut disziplinarischer Probleme ausgesetzt, die er nicht in den Griff bekam. Unter Felix Magath hatte es in zwei Jahre gerade mal einen einzigen Fall gegeben. Höhepunkt des Autoritätsverfalls stellten Vorwürfe dar, der von ihm mitgebrachte Physiotherapeut Ralph Frank trage Inhalte privater Gespräche aus dem Massageraum zum Trainer.

Und schließlich legte sich Sammer mit dem Publikum an. Einige Spieler, wie Torwart Timo Hildebrand, durften ungestraft Kritik an der zahlenden Kundschaft üben. Sammer selbst leistete sich während einiger Bundesligaspiele im Daimlerstadion allerlei Scharmützel mit Besuchern. Einmal musste er sich öffentlich für sein Verhalten entschuldigen.

Aus Klubkreisen heißt es, es sei vor allem der Präsident gewesen, der intensiv die Trennung im gekonnten Zusammenspiel mit dem Aufsichtsratschef Dieter Hundt vorantrieb. Hundt hatte in Interviews öffentlich die Trainerfrage gestellt und den „bösen Buben“ gespielt, während Staudt zurückhaltend blieb und in die Rolle des „tadellosen Geschäftsmannes“ schlüpfte.

Über die Abfindung für Sammer, der noch für zwei weitere Jahre einen Vertrag besaß, soll in den nächsten Wochen verhandelt werden. „Der Neue“, versprach Staudt, „wird kein weißes Blatt als Vita haben. Es kommt ein Trainer, der das Charisma hat, ein Erfolgsgarant zu sein.“