ENDLICH: DIE NEUE RECHTSCHREIBUNG WIRD VERBINDLICH
: Naiver Ruf nach einem Naturzustand

Nein, sie geben immer noch nicht Ruhe. Zwar haben die deutschen Kultusminister gestern in seltener Entschlussfreude ein Machtwort gesprochen und die Rechtschreibreform mit ein paar kleinen Änderungen zum kommenden Schuljahr endgültig für verbindlich erklärt. Doch die Gegner der Reform wollen sich damit nicht abfinden und fordern unverdrossen die „Rückkehr zur klassischen deutschen Rechtschreibung“.

Was aber, bitte schön, ist „klassisch“? Zur Zeit der klassischen deutschen Literatur gab es eine verbindliche Rechtschreibung jedenfalls noch nicht, und deren spätere Durchsetzung war von ähnlichen Widerständen begleitet wie die heutige Reform. Denn eine „natürliche“ Schreibweise existiert schlichtweg nicht. Jede „Recht“-Schreibung setzt, wie der Name schon sagt, die Setzung einer absolut künstlichen Norm voraus – so künstlich und in seiner praktischen Umsetzung zugleich so chaotisch, wie es alle Prozesse einer hoch entwickelten Zivilisation nun einmal sind. Gerade deshalb aber ist der naive Wunsch nach einer Rückkehr zum angeblichen Naturzustand überaus populär – wie auch die kuriose Debatte um eine Abschaffung des Euro zeigt, die eine Hamburger Illustrierte diese Woche lostrat. Der Euro gilt als „künstlich“, weil er so verschiedene Wirtschaftsräume wie Griechenland und Deutschland unter eine Währung zwingt.

Geflissentlich übersehen wird dabei, dass die Einführung einer deutschen Einheitswährung im 19. Jahrhundert nicht minder künstlich war. Die Inflationsrate unterscheidet sich auch zwischen Leipzig und München, trotzdem rief keiner nach der Abschaffung der Deutschen Mark.

„Der Neuordner hat alle die zu Feinden, die sich in der alten Ordnung wohlbefinden“, wusste der florentinische Politikberater Niccolò Machiavelli schon vor fünfhundert Jahren, „und laue Mitstreiter in denen, welche bei der Neuordnung zu gewinnen hoffen.“ Deshalb bleibt es wohl künftigen Generationen vorbehalten, die „neue“ Rechtschreibung von heute dereinst als „klassisch“ zu verteidigen. RALPH BOLLMANN