das wird: Eine irgendwie unterirdische Ausstellung
Das Bremer Paula-Modersohn-Becker-Museum wagt einen Blick auf die Kunst der Höhle
Von Benno Schirrmeister
Höhlen zum Thema einer Kunstausstellung zu machen wie das Paula-Modersohn-Becker-Museum (PMBM), liegt offenbar so nahe, dass die meisten davor zurückschrecken: Außer der famosen „Hollow Earth“-Schau, die 2022 in Nottingham die Wechselbeziehung von Höhlen, Kunst und ihrer Erforschung erkundet hat, gibt’s keine Treffer in den üblichen Datenbanken. Bis eben auf die Bremer Ausstellung, die am Samstag eröffnet. Und die ist, vom leider faden Titel „Faszination Höhle“ abgesehen, sehr geglückt.
Das liegt an der kuratorischen Leistung von Katharina Rüpell und Museumsdirektor Frank Schmidt. Denn sie haben das Thema radikal eng gefasst, zeitlich, aber auch inhaltlich. In der Höhle ist die Kunst ja zugleich mit der Menschheit geboren und spätestens seit den Bronzereliefs am Palast von Salmanassar III. hat sie Höhlen in ihr Gegenstandsrepertoire aufgenommen, also schon superlange. Wer versuchen würde, diese unterirdische Motivgeschichte nachzuzeichnen, hätte gute Chancen, sich zu verirren. Stattdessen nutzt die Bremer Ausstellung die expressionistische Architektur des eigenen Hauses als Ausgangs- und Bezugspunkt: Ihr Schöpfer, Bernhard Hoetger, hat nicht nur mit einer Reihe Keramikfiguren, die den Endpunkt der Ausstellung markieren, die buddhistische Höhlen-Symbolik in seine Kunst übernommen.
Er hat auch die Vorhalle des weltweit ersten einer Malerin gewidmeten Museums 1927 unübersehbar uteral konzipiert. Gestalt und Lichtgebung – damals das Neueste vom Neuen: blaue Glasbausteine als Farbfilter! – des Vestibüls speisen sich dabei ganz unmittelbar aus der massenhaften romantischen Höhlenbilderproduktion. Den entscheidenden Schub erhält diese Produktion 1826 mit der Wiederentdeckung der Grotta Azzurra von Capri durch die deutschen Maler Ernst Fries und Wilhelm Koppisch. Klar, dass Fries’aus diesem Anlass entstandenes kleines Ölgemälde seinen Platz in der Ausstellung bekommen musste. Am frappierendsten aber: Wie dicht es der Schau gelingt, die schwülstigste Blüte dieser Höhlenbegeisterung, die Venusgrotte von Schloss Linderhof in Bayern, an Bremen und Hoetger heranzurücken – in der Person des aus Fischerhude stammenden, von König Ludwig II. geförderten Künstlers Heinrich Breiling. Hoetger hat ihn nachweislich gekannt.
Ausstellung „Faszination Höhle“, Paula-Modersohn-Becker-Museum Bremen, ab 10. 2., täglich außer montags, 11–18 Uhr, bis 9. 6.
Zugegeben: In der Schau hängt auch, etwas erratisch, ein Gemälde des 17. Jahrhunderts. Das reicht nicht, um die Höhlenmanie des Barock zu thematisieren, geschweige denn, um Kontinuität oder Differenz zu behaupten. Sehr gut hingegen gelingt der Brückenschlag in die Gegenwart: Einerseits haben Bremer Kunst-Studierende die Vorhalle bespielt und Semantiken der Höhle freigelegt, die mal Schutzraum, mal Inferno sein kann. Hier beeindruckt rechts am Eingang die Video-Sound-Installation „Retreat“ von Hana Kawanishi. Durch ein Peepshow-Guckloch erlaubt sie nur je einer Person den Blick auf die Künstlerin, die in Embryonalstellung in ihrer Badewanne wie in Trance sich zu Geräuschen ihrer Wohnung bewegt. Andererseits empfängt im ersten Raum eine psychedelische Wohnlandschaft die Besucher*innen, die aus den organischen Formen der Hoetger-Höhle emporgestiegen sind: Diese für BASF 1970 entwickelte Schaumstoffvision weckt und erfüllt den Wunsch, in sie hineinzuschlüpfen und als temporärer Troglodyt durch ihre Rundungen nach draußen zu schauen.
Die Bilderproduktion wurde von diversen Höhlendiskursen motiviert. Darauf lässt sich „Faszination Höhle“ kaum ein. Dadurch bleiben deren Stränge – symbolisch, psychologisch, archäologisch oder geologisch – nebeneinander bestehen. Kann sich ja jede*r selbst einen aussuchen.
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