Migranten sollen Fußball retten

Ohne Einwanderung hat der nordrhein-westfälische Fußball keine Zukunft. Mehr als die Hälfte der Nachwuchskicker hat einen Migrationshintergrund. Der Sport bietet die Chance zur Integration

VON HOLGER PAULER

Die A-Jugend des VfL Bochum gewann gestern durch ein 5:1 über Arminia Bielefeld zum dritten Mal in Folge den Titel in der Junioren-Bundesliga West. Haluk Türkeri erzielte einen Hattrick, in der laufenden Saison traf er 33 mal. Knapp die Hälfte des Teams hat einen Migrationshintergrund. Nicht nur in Bochum: Ohne Migranten ist der Fußball in NRW nicht denkbar. „Viele Vereine könnten ohne Zuwanderer ihre Jugendabteilungen schließen“, sagt Peter Lange, Dozent und Fußball-Lehrer an der Ruhr-Universität Bochum. Der Anteil liegt landesweit bei knapp 70 Prozent. Tendenz steigend.

Ein anderes Beispiel: Der Verein Yurdumspor Köln schaffte in der vergangenen Woche den Klassenerhalt in der Oberliga Nordrhein. Trotzdem ist die Zukunft ungewiss. 100.000 Euro fehlen. Eine Rettungskampagne soll helfen. „Wir haben vor allem versucht, möglichst viel türkische Multiplikatoren zu erreichen“, sagt Tayfun Keltek, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen (LAGA) in NRW und Sportlehrer an einer Realschule in Köln/Deutz. Am vergangenen Freitag hat sich ein breites Bündnis zur Rettung des Vereins zusammen gefunden. Mit dabei waren Migrantenorganisationen, Geschäftsleute deutscher und türkischer Herkunft.

„Sport ist das beste Mittel zur Integration“, sagt Keltek. Seine tägliche Arbeit mit Jugendlichen lässt ihn zum dem Schluss kommen, dass der Sport, insbesondere der Fußball „der einzige gesellschaftliche Bereich ist, in dem alle Jugendlichen die gleichen Startchancen haben“. Die Sprachbarrieren fielen dort weg. Aus diesem Grund würden sich die Jugendlichen aus Migrantenfamilien besonders im Sport engagieren.

„Der Fußball spricht eine eigene Sprache“, sagt auch Ersan Tekkan, Spieler bei den Oberliga-Amateuren des VfL Bochum. Tekkan stammt aus der sehr erfolgreichen Jugendarbeit des VfL. Die meisten Jugendlichen sind in Deutschland geboren, leben mit ihren Familien bereits in der zweiten oder dritten Generation hier. „Sie haben nur das eine Heimatland“, sagt Keltek, „und das ist Deutschland und nicht die Türkei“. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahre 2000 zollte dieser Entwicklung Tribut. Die in Deutschland geborenen Jugendlichen aus Migrantenfamilien hatten die doppelte Staatsbürgerschaft – nach der Novellierung entschieden sich viele Jugendliche für den deutschen Pass. „Es war eine richtige Welle“, sagt Keltek.

Dieses Denken drückt sich auch darin aus, dass die jugendlichen Auswahlspieler das deutsche Nationaltrikot tragen. In der U-19Nationalmannschaft spielen unter anderem der Essener Serkan Calik und der Schalker Serkan Durmaz. Der Bochumer Ersan Tekkan hat in seiner Jugend ebenfalls das Trikot mit dem Adler getragen: „Für mich war es selbstverständlich.“ Natürlich hätte er auch für die Türkei auflaufen können.

So wie Yildiray Bastürk, mittlerweile bei Hertha BSC Berlin, früher Spieler in Bochum und Wattenscheid. Aufgewachsen ist Bastürk in Wanne-Eickel. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2002 trug er allerdings das Trikot der Türkei. „Der türkische Verband war einfach schneller als der deutsche“, sagte er einmal. Es hätte also genauso gut anders herum laufen können.

„Früher haben die Funktionäre gesagt, dass ‚Ausländer‘ keine Chance haben, ganz nach oben zu kommen“, sagt Tayfun Keltek. Seit den 90er Jahren habe allerdings ein Umdenken statt gefunden. Mit dafür verantwortlich seien auch die neu entstandenen so genannten „eigenethnischen“ Vereine. Türkiyemspor Berlin, Türk Gücü München oder eben Yurdumspor Köln. „In diesen Vereinen spielen Jugendliche aus bis zu 20 verschiedenen Herkunftsländern“, sagt Keltek, auch für deutsche Jugendliche sei Platz.

Die Geschichte wiederholt sich. Die polnischen Einwanderer zu Beginn des letzten Jahrhunderts hatten es anfangs schwer. Auch ihr Integrations-Ventil war der Fußball. Später profitierte nicht nur das Ruhrgebiet. Fritz Szepan und Ernst Kuzorra schossen den FC Schalke 04 zu sechs Meisterschaften. Horst Szymaniak aus Erkenschwick oder der Düsseldorfer Erich Juskowiak trugen nach dem Krieg das Trikot der deutschen Nationalmannschaft.