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Archiv-Artikel

„Schwere Krise der Glaubenslehre“

USA Der Vatikan will die größte Organisation US-amerikanischer Nonnen unter Aufsicht stellen. Begründung: Die Nonnen würden sich nicht gegen Abtreibung und Homosexualität engagieren

„Der Vatikan ist an Monarchie gewöhnt, wir leben Demokratie“

SCHWESTER SIMONE CAMPBELL

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Wegen „Abweichungen“ vom Dogma, wegen „radikaler feministischer Themen“ und wegen unzureichender Verteidigung des „Rechts auf Leben“ will der Vatikan die größte Organisation US-amerikanischer Nonnen unter Aufsicht stellen. In einem Dokument listet der Vatikan zahlreiche ideologische Verfehlungen der „Leadership Conference of Women Religious“ (LCWR) auf. Und beauftragt einen Mann – den erzreaktionären Erzbischof von Seattle, Peter Sartain –, die Nonnen auf die richtige Linie zu bringen. Zwei weitere Bischöfe sollen ihm dabei helfen. Für diese Arbeit gibt der Vatikan ihnen fünf Jahre Zeit.

Das Dokument ist das Resultat einer Überprüfung, die der Vatikan bei den Nonnen der LCWR angestellt hat. Es diagnostiziert bei der LCWR eine „schwere Krise der Glaubenslehre“. Die Überprüfung dauerte drei Jahre. Geleitet wurde sie von der „Kongregation für die Glaubenslehre“ im Vatikan.

In dem achtseitigen Dokument loben die Doktrinäre das soziale Engagement der Nonnen. Doch sie bemängeln, dass die LCWR sich nicht gegen Schwangerschaftsabbrüche, nicht gegen die Verteidigung des menschlichen Lebens „von der Empfängnis bis zum Tode“ und nicht gegen Homosexualität engagiert. Und sie kritisieren, dass die Nonnen es falsch finden, dass nur Männer Priester werden können.

Die LCWR repräsentiert mehr als 80 Prozent der 57.000 Nonnen in den USA. Sie arbeiten – oft für minimale Löhne – in Schulen und Krankenhäusern und bei der Betreuung von Obdachlosen. In der Debatte über die Gesundheitsreform unterstützt die Dachorganisation LCWR ausdrücklich Präsident Barack Obama. Das ist zwar in dem jetzt vorgelegten achtseitigen Dokument nicht erwähnt, bedeutete aber während der aufgewühlten Debatte in den USA einen deutlichen Unterschied zwischen Nonnen und der Spitze der Kirchenhierarchie – die Bischofskonferenz sprach sich gegen Obamas Reform aus.

Unübersehbar sind auch die Unterschiede im Umgang mit Homosexualität. Während die LCWR Toleranz übt, machte der Erzbischof von Seattle, der die LCWR künftig ideologisch auf Linie bringen soll, in seinem Bundesstaat Kampagne für ein Referendum gegen die homosexuelle Ehe.

„Es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube“, sagte Schwester Simone Campbell am Donnerstag in einem Radiointerview mit NPR über das Dokument aus dem Vatikan: „Die Idee, dass wir religiösen Frauen nicht dem Evangelium folgen, ist schockierend.“

Campbell ist Direktorin von Network, einer der größten Gruppen, die zu dem Dachverband LCWR gehören. Sie attestiert dem Vatikan Mangel an Bezug zur sozialen Realität und spricht von „Kulturkampf“. Sie fügt hinzu, der Vatikan sei „an eine Monarchie gewöhnt, während wir Nonnen in den USA in einer Demokratie leben“.

Die Sprecherin der LCWR, Schwester Annemarie Sanders, sagte, ihre Organisation werde die Mitglieder konsultieren, um gemeinsam zu entscheiden, wie sie sich gegenüber dem Vatikan verhalten werden.