Abendland wohlauf

Müssen Schwule und Lesben Angst vor einer unionsgeführten Bundesregierung haben? Nein, denn die christlichen Parteien haben ihre längst anstehende geistig-moralische Wende vollzogen

Als Resultat scheint sich in der Union eine Art Realismus ausgebreitet zu habenDie politisch-kulturelle Bewegung ist erwachsen geworden

VON JAN FEDDERSEN

Diese Anekdote wird aus dem Jahre 2002 kolportiert. Sie soll sich in der Redaktion der Zeit zugetragen haben. Gast der Wochenzeitung war der christsoziale Politiker Michael Glos; man sprach über Rot-Grün und die Chancen von Edmund Stoiber, Gerhard Schröder zu schlagen. Am Ende sollen die irritierten Zeit-Gastgeber gefragt haben: Lieber Herr Glos, nun ja, aber eigentlich würden sie alles genauso machen, wie die Roten und Grünen es tun, nicht wahr? Wo aber liegt denn nun wirklich deren Unterschied zu Ihnen und den Ihren? Und Michael Glos habe so ertappt wie erschöpft gesagt: in der Homoehe!

Das war der Punkt, der die Konservativen im Lande um den Schlaf brachte, der Graben, der die Realpolitiker beider Lager noch trennte: dass da eine Regierung den einstigen Schmuddelkindern Rechte einräumte, die man doch exklusiv heterosexuell veranlagten Menschen vorbehalten wissen wollte. Mann und Mann – Frau und Frau: nicht dass man in der Union dachte, man könne Schwules oder Lesbisches zum Verschwinden bringen, aber doch wenigstens von der bürgerlichen Oberfläche fern halten: War das so schwer zu verstehen?

Sein Kummer war verständlich: Eine Hatz gegen die Homoehe war innerhalb der Union nur mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu bündeln – wenn es denn überhaupt mehr als eine kulturkritische Empörung war. Schon das Begehr einiger im CDU-Bundesvorstand, gegen das Gesetz per Unterschriftenaktion anzugehen, analog zur Kampagne Roland Kochs gegen ein liberales Ausländer- und Staatsbürgerschaftsrecht, scheiterte. Es hieß, die allermeisten Unionsmitglieder könnten an einem Infostand wohl gegen Ausländer mobil machen, nicht aber gegen Homosexuelle: Dann müsse man über das Unaussprechliche, Sex!, reden. Igitt und Gott oh Gott, nein: Man saß in der Erklärungsfalle.

Der Frühsommer vor drei Jahren liegt freilich inzwischen, kulturkämpferisch gesehen, Jahrhunderte zurück. Seither ist viel passiert – und als Resultat scheint sich in der Union eine Art Realismus ausgebreitet zu haben: Man kommt an den neobürgerlichen Schichten, zu denen ja auch tausende von selbstbewussten Homosexuellen zählen, nicht vorbei. Zunächst sprach das Bundesverfassungsgericht ein Machtwort. Im Juli vor der Wiederwahl Gerhard Schröders hieß es zur Klage von unionsgeführten Bundesländern gegen das Gesetz zu Eingetragenen Lebenspartnerschaften, es kollidiere nicht nur keineswegs mit Artikel 6 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie), vielmehr könne, wenn er denn wolle, der Gesetzgeber die Paare von Homosexuelle denen von Heterosexuellen vollständig gleichstellen. Passiert, wenn man so will, ist seither auch der Fall Ole von Beust und Roger Kusch. Der eine Bürgermeister von Hamburg, der andere Justizsenator. Beide verkörpern christdemokratische Politik – mit urbanem Einschlag. Als von Beust vom Rechtspopulisten Ronald Schill aufgrund seiner Homosexualität erpresst werden sollte, zog der Bürgermeister den wichtigsten politischen Joker: Offenheit und Härte. Warf, als sei er ein konservativer Klaus Wowereit („Ich bin schwul, und das ist auch gut so“), Schill aus dem Senat und dementierte fortan nicht mehr, das zu sein, was er eben ist: ein konservativer Mann, der mit keiner Landesmutter aufwarten kann – und möchte.

Inzwischen gibt es reichlich konservative Politiker, die offen schwul leben. Auch auf regionaler Ebene. Nirgendwo unter Unions-Ägide ist eine Christopher-Street-Day-Parade abgesagt worden. Ein Verhalten unter rot-grüner Bundesregierung ist allerdings nur das eine – das andere, wie es wäre, unter schwarzer Regentschaft zu leben: Muss man vor einem Wahlsieg der Union, gemessen an den bürgerrechtlichen Anliegen der Homosexuellenbewegung, Angst haben?

Erstaunlich, aber wahr: Niemand hat diese Angst. Und zwei Unionsabgeordnete bestätigen: Die Angst sei „unbegründet“, teilt die CDU-Abgeordnete Michaela Noll mit, „am Status quo des Lebenspartnerschaftsgesetz werden wir nichts ändern“. Vielmehr müsse in den „Köpfen der Menschen“ noch vieles bewegt werden, „damit es eben kein Ausgrenzen, kein Beargwöhnen und kein Verurteilen mehr gibt“. Ihr Fraktionskollege Jürgen Gehb, Nachfolger des antihomosexuellen Norbert Geis als rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, sekundiert ebenso deutlich: „Die Union wird nicht an bestehenden Regelungen zur Lebenspartnerschaft rütteln.“

Ein führender Mitarbeiter der Unionsfraktion erklärt diese Haltung: „Rot-Grün hat gute Reformarbeit geleistet. Und wir als Konservative haben jetzt die Aufgabe, die kulturelle Avantgarde in unsere ängstliche Wählerschaft zu vermitteln – das Bundesverfassungsgericht hat uns dabei sehr geholfen. Man hört auf das höchste Gericht.“ Konservative überhaupt hätten die Rolle von Moderatoren: „Aids in den Achtzigern war ja unter einer Unionsregierung auch zunächst mit viel Furcht verbunden. Aber Heiner Geißler und Rita Süssmuth haben es geschafft, die Paranoia von Politikern wie Peter Gauweiler nicht Politik werden zu lassen.“

Ein seltsamer Friede, der sich da abzeichnet: Wo sind aber all die schrillen Stimmen geblieben, die den Untergang des Abendlandes durch die Homoehe angekündigt sahen? Weshalb hat neulich noch die Union im Rechtsausschuss zum Gesetz über die Stiefkind-Adoption eine evangelikale Expertin aufgeboten, die nichts anderes mitzuteilen wusste, als dass Homosexuelle erfolgreich geheilt werden könnten? Der Insider der Union wiegt den Kopf und sagt: „Ein Kompromiss, diese Frau. Sie stellte die Hardcore-Christen in der Fraktion ruhig. Die meisten von ihnen werden aber bei Neuwahlen nicht mehr im Bundestag sitzen.“ Fänden die in der Union kein Gehör mehr? Der Experte sagt darauf nur knapp: „Wir bekommen dauernd Post. Von Maria-Goretti-Freundeskreisen und anderen Chargen. Wir gucken uns diese Briefe an und legen sie sacht in den Papierkorb. Wir können mit denen keine Wahl gewinnen – und darum geht es, nicht um Kulturkämpfe von vorgestern.“

Die ja ohnehin nicht zu gewinnen sind. Vor Monaten erst, als Horst Köhler seinen bundespräsidialen Antrittsbesuch in Berlin machte, waren Fernsehbilder auf ihre Art mächtig: Köhler schritt mit Gattin durch das Brandenburger Tor, begleitet von Klaus Wowereit und seinem Lebensgefährten Jörn Kubicki. Subtiler lässt sich der Auftakt (nicht Schlusspunkt!) von Modernität kaum demonstrieren.

Möglicherweise ist die unaufgeregte Art der Union unter Angela Merkel, auf kulturelle Konflikte im Bundestagswahlkampf zu verzichten, auch ein Zeichen von Selbstbewusstsein: Wenn schon eine ostdeutsche Frau Kanzlerin werden könnte, dann kann man nicht ernsthaft gegen die „warmen Brüder“ (Franz Josef Strauss) sein. Johannes Kahrs, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, sagt: „Früher war die Schwulenbewegung eine der Graswurzeln, der Achtundsechziger und Grünen. Heute sind überall Homosexuelle, und die meisten wollen sich nicht mehr verstecken. Das haben sie den Grünen zu verdanken. Aber die politisch-kulturelle Bewegung ist erwachsen geworden – und die Parteien müssen das auch.“

Könnte sein, dass die von Edmund Stoiber als „Leichtmatrosen“ gescholtenen Merkel und Westerwelle wirklich Schröder und Fischer beerben. Ein offen schwuler Außenminister: Westerwelle hätte sich wahrscheinlich kaum träumen lassen, dass dieser Job für ihn erst nach seinem Coming-out möglich wird. Nicht nur er lernte: Offenheit ohne exhibitionistische Allüren lohnt – das haben die in der Union allmählich auch begriffen.