Reformen und Revolutionen sticken

GRENZBEREICHE Muss alles Leben gestaltet werden? Ja, sagt die Moderne, nö, die Ausstellung „New Omega-Workshops“ in der Galerie September, die mit der Auflösung der Kategorien Kunst, Design und Mode spielt

VON BRIGITTE WERNEBURG

„Mr Crane schwärmt so für Gräser“, sagte Mrs Steinberg. „er sagt, es gebe nirgendwo auf der Welt schönere Gräser als in Sussex.“ So lässt Bethan Roberts 1936 die Protagonistin ihres Romans „Köchin für einen Sommer“ sprechen, der an Peggy Guggenheims Aufenthalt in Südostengland anknüpft. „Er hat wirklich ein Händchen für Innengestaltung. Und beide sind wir auf Modernisierung versessen.“ Schon immer finden der Wunsch, modern zu sein, aber auch Dissidenz und Negativität ihren ersten und vorzüglichsten Ausdruck in Habitus, Kleidung, Mobiliar, in Musik, Bildern, nicht zuletzt in den Genussmitteln, kurz im Lebensstil.

Das mag nicht weiter bewusst geschehen, wie bei der Unter- oder Oberschicht, deren – aus bürgerlicher Perspektive – deviantes, asoziales Verhalten das eine Mal von Trainingsanzügen, das andere Mal von Maßhemden begleitet ist, um bei der Lust an exklusiven Hunden und Autos wieder konform zu gehen. Meist aber geschieht es bewusst, etwa bei den verschiedenen Jugend- und Aussteigerbewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Punk und Flower Power. Oder auch in den verschiedenen Künstler- und Reformbewegungen der ersten beiden Jahrzehnte ebendieses Jahrhunderts, wie etwa dem Kreis um den Monte Verita in Ascona in der Schweiz.

Experiment: Versöhnung

Eine weitere Spielart ruft nun die Sommergruppenausstellung „New Omega-Workshops“ der Galerie September in Erinnerung. Sie knüpft mit ihrem Titel an den lebensreformerischen „Omega Workshop“ an, den der postimpressionistische Maler Roger Fry von 1913 bis 1919 in London betrieb. Die experimentelle Werkstatt, in der Kunst und Leben versöhnt werden sollten, war eine sehr britische Mixtur aus Klassendünkel und Umsturzhoffnungen, aus klassischer Boheme und der Suche nach Ursprünglichkeit und Einfachheit. Letzteres verwirklichte sich dann in „Berliner Wollarbeiten, Matten und Taschen, grausigen Kissen und Vorhängen, die aussehen, als wären sie zufällig in mehrere Färbebottiche gefallen“, wie zeitgenössische Beobachter spotteten.

Nach diesen Worten kann man sich den naturfarbenen Alternativschick des Omega Workshops sofort vorstellen. Doch damit hat die Ausstellung bei September nichts zu tun. Trotzdem summieren sich die Beiträge der rund 30 Künstler zu einem gewöhnungsbedürftigen Bild. Denn die „New Omega Workshops“ haben auch nichts mit der üblichen unterkühlten Ausstellungspräsentationen zu tun, die heute zeigt, dass man ganz auf Modernisierung versessen ist, und die dem Crossover von bildender Kunst und Design in der Objektkunst eines Jorge Pardo, Tobias Rehberger oder Franz West den bekannten Rahmen gibt. Wie immer man es dreht, in diesem Sommer erscheinen die „New Omega Workshops“ innerhalb der Galerieszene beispiellos.

Denn in den „New Omega Workshops“ antwortet das L’art brut-Stickbanner der im letzten Jahr verstorbenen Kunst- und Sexaktivistin Helga Goetze („erst wenn die Ökologen richtig ficken, kann das Leben wirklich glücken“) problemlos auf die modernistische Holzvertäfelung des 1972 in Leipzig geborenen Künstlers Tilo Schulz an der Wand gegenüber. Mit seinen Intarsienarbeiten aus Echtholzfurnier, die gleichermaßen als Bild, Objekt und Architekturelement funktionieren, plädiert er – nicht anders als die „primäre Tabubrecherin“, wie sich Helga Goetze selbst nannte – für eine Erneuerung der Wahrnehmung künstlerischer Arbeit und der politischen, ästhetischen, überhaupt ideologischen Umstände ihrer Entstehung.

Die „New Omega Workshops“ mögen vordergründig eine Ausstellung über die Grenzbereiche zwischen bildender und angewandter Kunst, zwischen Volkskunst, Design, Mode und Kunstgewerbe sein. Im Grunde genommen geht es aber „eher um die Auflösung dieser Kategorien und die kritische Untersuchung der modernen Idee, dass das alltägliche Leben mit allen Mitteln gestaltet und reformiert werden muss“, wie Galerist Oliver Koerner von Gustorf selbst sagt.

Boutique der Spielarten

Und deshalb gehen die coolen Revolutionsembleme, die Carsten Fock gemeinsam mit dem Modedesignerstar Bernhard Willhelm gestickt und genäht hat, ohne weiteres mit Reinhard Wilhelmis vogelwilder Totalinstallation einher; so wie die scheinbare, schlichte 50er-Jahre-Eleganz von Nada Sebestyéns schweren Glasvasen durch Bettina Allamodas ganz zu Recht „Collection Rustical“ genannten Möbel aus grob behauenem Holz ins beste Licht gerückt werden und umgekehrt.

Deshalb ist die Ausstellung wie eine Boutique aufgebaut, deren endloses Angebot an sämtlichen Spielarten der Sub- und Counter culture die Idee des Lifestyles komplett ad absurdum führt. Was nicht dagegen spricht, dass die schönsten Gräser noch immer in Sussex zu finden sind.

■ Bis 12. September, Galerie September, Charlottenstraße 1, Di.–Fr. 11–19, Sa. 11–18 Uhr