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Archiv-Artikel

Erdrückt von Gefühlspragmatismus

PAARE Calle Overwegs Film „Beziehungsweisen“ lässt vom utopischen Potenzial der Liebe nichts übrig

Nimmt man den Film beim Wort, dann steht es nicht gut um jene Liebe, die Niklas Luhmann noch als kodierte Intimität beschreiben konnte

Drei Paare, deren Beziehungen in Sackgassen geraten sind, suchen in Calle Overwegs Film „Beziehungsweisen“ drei unterschiedliche Therapeuten auf. Es wird über die Liebe geredet in einer komplizierten filmischen Anordnung: Die Therapeuten sind echte Therapeuten, die Paare aber keine echten Paare, sondern Schauspieler, die fiktionale Beziehungen ausagieren. Eine Frau, die von ihrem Freund bedrängt wird, das gemeinsame Kind nicht abzutreiben; ein altes Ehepaar, das unter der Last des Nichtausgesprochenen zu zerbrechen droht; ein jüngeres, das kurz vor der Trennung steht.

Ein Versuchsaufbau, komplett gedreht in einer kargen, monochromen Turnhalle, angeordnet in drei Ebenen. Im Zentrum stehen die komplett geskripteten Therapiegespräche selbst. Dazu von diesen ausgehende, ebenfalls komplett geskriptete Reinszenierungen symptomatischer Beziehungsmomente, aufgeführt vor reduzierter, theaterhafter Kulisse: die Entdeckung einer Affäre, gegenseitiges Sichanschweigen im Auto, der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung. Dokumentarisch ist nur die dritte Ebene: Overweg tritt in seinen eigenen Film und befragt die Therapeuten sowohl zu ihrer alltäglichen Arbeitspraxis als auch zu ihren Erfahrungen am Set seines Films.

„Beziehungsweisen“ läuft im Kino Lichtblick als Teil einer Filmreihe, die vom Berufsverband Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) organisiert wird. Erstaufgeführt wurde der Film im Forum der diesjährigen Berlinale, wo er gemeinsam gesehen werden konnte mit Ruth Maders „What Is Love“, einem auch ähnlich problematischen Doku/Fiction-Hybrid. In streng durchkomponierten, starren, oft ausgestellt artifiziellen Einstellungen lässt die österreichische Regisseurin kleinbürgerliche Paare ihre eigenen Beziehungsgefängnisse performieren.

Nimmt man die beiden Filme beim Wort, dann steht es nicht gut um jene Liebe, die Niklas Luhmann noch Anfang der achtziger Jahre als kodierte Intimität, als eine Reaktion auf die zunehmend abstrakter werdenden sozialen Beziehungen in der Moderne beschreiben konnte. Dieses – aus der Perspektive des Individuums – utopische Potenzial von Liebe geben Mader wie Overweg auf zugunsten rein pragmatischer Modelle, in denen man auf nichts weiter hoffen kann als auf die Fortführung und perspektivisch die Fortpflanzung einer Interessengemeinschaft. Das Ziel der „Beziehungsarbeit“, auf die vor allem Overwegs Film Liebe verkürzt und deren therapeutisch-kommunikativer Vollzug keinerlei Bruch mit dem Alltag mehr markiert: wieder „ein gutes Team“ werden – mehr ist nicht drin. Der ganze Film wirkt in seinem erdrückenden Gefühlspragmatismus wie eine späte Bestätigung eines Satzes aus Adornos „Minima Moralia“: „Heute erscheint der arrogant, fremd und nicht zugehörig, der auf Privates sich einlässt, ohne dass ihm eine Zweckrichtung anzumerken wäre.“ LUKAS FOERSTER

■ „Beziehungsweisen“. Regie: Calle Overweg. Mit Franziska Kleinert, Gerhold Selle u. a. Deutschland 2012, 85 Min. Am 24. April um 18 Uhr im Lichtblick-Kino