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Archiv-Artikel

Ölung für EU-Motor

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Angesichts schwindender Unterstützung für ihre Politik bei den Wählern zu Hause scheinen der deutsche Kanzler und der französische Präsident noch enger zusammenzurücken. Bei ihrem Treffen am Samstagabend in Berlin ließen beide durch ihre Sprecher mitteilen, der EU-Verfassungsprozess sei nicht tot, die Ratifizierung in den noch ausstehenden Ländern müsse fortgesetzt werden.

So könnte beim Gipfeltreffen kommende Woche in Brüssel eine bizarre Situation entstehen. Mit dem Übermut derer, die nichts mehr zu verlieren haben, könnten Schröder und Chirac den deutsch-französischen Motor nochmals auf Hochtouren bringen. Tony Blair, der im Gegensatz zu den beiden kürzlich eine Wahl gewonnen hat, würde wütend am Straßenrand zurückgelassen. (siehe unten)

Am Donnerstag hatte die Luxemburger Präsidentschaft einen neuen Kompromiss zu den Finanzverhandlungen vorgelegt, die die Planung 2007 bis 2013 betreffen. Während Beobachter nach der rot-grünen Wahlniederlage in Düsseldorf davon ausgegangen waren, dass sich bis zu den deutschen Neuwahlen im Herbst in der EU nichts mehr bewegen werde, dämmert nun einigen, dass Gerhard Schröder vielleicht gern finanzielle Zusagen macht, die er selbst nicht mehr einzuhalten braucht.

Seit fast zwei Jahren betont die Bundesregierung, dass die eigene Haushaltslage, die Auflagen des Stabilitätspakts und die nachteilige Nettozahler-Situation dazu zwinge, den Brüsseler Topf auf 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zurückzufahren. Dieser Position schlossen sich andere Nettozahler an. Noch immer gilt ein Brief von Deutschland, Frankreich, Österreich, Schweden, Niederlande und Großbritannien vom Dezember 2003 als letztes Wort in der Angelegenheit.

Nun sieht es so aus, als würden sich Schröder und Chirac beim EU-Gipfel als kompromissbereite Musterschüler präsentieren wollen. Gemeinsam wenden sich die beiden gegen den 1984 von Margaret Thatcher als Ausgleich für die an Frankreich gezahlten Agrarsubventionen herausgehandelten Britenrabatt, für den jede Begründung inzwischen entfallen ist. Tony Blair wird da allerdings ganz sicher nicht einlenken, denn er hat zu Hause mit einer starken europafeindlichen Opposition zu kämpfen.

Auch was die EU-Verfassung angeht, sind die sechs Briefeschreiber ganz unterschiedlicher Meinung. Beobachter rechnen damit, dass der britische Außenminister Jack Straw in seiner für heute im Unterhaus angekündigten Erklärung das ursprünglich für nächstes Jahr geplante EU-Referendum absagen wird. Ein anderer Unterzeichner des Nettozahler-Briefes, der schwedische Ministerpräsident Goran Persson, ist von der ihn unterstützenden Linkspartei aufgefordert worden, das Referendum abzusagen. Andernfalls werde die Linkspartei im Herbst die schwedischen Haushaltsverhandlungen blockieren.

Nun schauen alle mit Spannung auf den EU-Gipfel. Ein starkes Signal hatte Luxemburgs Premier Juncker als Antwort auf die Krise angekündigt. Es könnte darin bestehen, dass die Regierungschefs Kernstücke der Verfassung per gemeinsamen Beschluss umsetzen. Wenn sie aber fürchten, dass der Zorn der Bürger ob solcher Eigenmächtigkeiten weiter steigt, könnten sie ihre Einigkeit dadurch demonstrieren, dass sie den Haushalt für die nächste Siebenjahresperiode beschließen. Wie Juncker den britischen Premier überreden will, die Kröte zu schlucken, bleibt sein Geheimnis. Schröder und Chirac haben davor noch einen Ölwechsel für ihren Motor geplant: bei einem gemeinsamen Abendessen kommenden Freitag in Paris.