: La France wählt
FRANKREICH Die Präsidentschaftswahlen entwickeln sich zur Volksabstimmung gegen den Amtsinhaber. In der Stichwahl dürfte er gegen den Sozialisten Hollande antreten, der nach ersten Hochrechnungen deutlich führte
■ Kein anderes Staatsoberhaupt in Europa vereinigt so viel Macht auf sich wie der französische Präsident. Er wird direkt vom Volk gewählt, kann aber nicht abgewählt werden.
■ Er steht an der Spitze der Exekutive, leitet die Regierungsgeschäfte und bestimmt den Premierminister – eine Premierministerin hat es in Frankreich noch nie gegeben. Er kann das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen.
■ Seit einem Volksentscheid im Jahr 2000 beträgt seine Amtszeit nur noch fünf Jahre – bis dahin waren es sieben Jahre – und höchstens zwei Amtsperioden in direkter Folge.
■ Hat keiner der KandidatInnen beim ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit der Stimmen – also mehr als 50 Prozent – erzielt, kommt es am 6. Mai zu einer Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit dem besten Ergebnis. Wahlberechtigt sind insgesamt 44,5 Millionen Franzosen.
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Die 44, 5 Millionen Wahlberechtigten Frankreichs mussten sich bis Sonntagabend 20 Uhr Mitteleuropäischer Zeit gedulden, um offiziell zu erfahren, wie die zehn Kandidaten und Kandidatinnen abgeschnitten hatten. Gegen 17 Uhr meldete der belgische Rundfunksender RTBF, nach ersten Hochrechnungen liege der Sozialist François Hollande mit 27 Prozent vor Amtsinhaber Nicolas Sarkozy. Die französischen Medien dürfen vor Schließung der Wahllokale keine Hochrechnungen veröffentlichen.
Die Präsidentschaftswahlen gelten in Frankreich aufgrund der nach wie vor sehr großen Machtbefugnisse des Staatschefs als bedeutendste politische Weichenstellung, daher wurde eine höhere Wahlbeteiligung erwartet, als es in anderen europäischen Ländern üblich ist.
Für viele Wähler schien es von Anfang an wie bei einen Plebiszit um die Frage zu gehen, ob Präsident Nicolas Sarkozy ein zweites Mandat bekommen soll. Der Sozialist François Hollande schien nach den Umfragen der einzige Konkurrent zu sein, der sich ernsthafte Siegeschancen gegen Sarkozy ausrechnen durfte. Beide standen darum im Voraus praktisch als „Finalisten“ der Stichwahl am 6. Mai fest.
Hollande hatte darum die Linkswähler ersucht, ihre Stimmen nicht auf die diversen „kleineren“ Konkurrenten aufzusplittern, sondern ihn vorneweg in eine Poleposition für die Finalrunde zu setzen. Für Sarkozy war es wohl besonders wichtig, im ersten Wahlgang an der Spitze zu liegen, um eine Dynamik zu seiner Wiederwahl zu schaffen.
Jeder der beiden Favoriten legten kurz vor Mittag unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen ihren Wahlzettel in die Urne. Sarkozy war von seiner Gattin, der Sängerin Carla Bruni, begleitet, François Hollande von seiner Partnerin Valérie Trierweiler, einer aus dem Elsass stammenden Journalistin. Marine Le Pen vom Front National absolvierte ihre staatsbürgerliche Pflicht im nordfranzösischen Hénin-Beaumont. Aus dem Lager der bisherigen Regierungsmehrheit in Frankreich wurden Ängste geschürt: Premierminister François Fillon warnte seine Landsleute, im Fall eines Wahlsiegs der Linken werde das Land „eine Beute“ der Spekulation. In ihm brauche die Londoner City kein Risiko oder eine Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität Frankreichs und Europas zu sehen, hatte der sozialistische Kandidat François Hollande bei einem Besuch jenseits des Ärmelkanals versichert: „I am not dangerous“, scherzte er an die Adresse britischer Wirtschaftsliberaler, die sich den französischen Sozialisten womöglich fast wie einen Bolschewiken mit dem Messer zwischen den Zähnen vorstellen.
Zum großen Ärger seiner zukünftigen kommunistischen Partner sagte Hollande auch, im Unterschied zu 1981, als sein Lehrmeister François Mitterrand mit einem – auf dem Papier – ziemlich radikalen „Programme commun“ an die Macht kam, gebe es heute in Frankreich praktisch die Kommunisten nicht mehr.