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Archiv-Artikel

Die Welt im Maisfeld

SALZBURGER FESTSPIELE: Jette Steckel hat Ilija Trojanows Roman „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ für die Bühne bearbeitet

Ein Getreidefeld könnte die Welt sein, wäre man dort glücklich und wollte man nicht weg aus der fürsorglichen Umarmung eines diktatorischen Regimes. Ilija Trojanows „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ könnte der Reiseroman der Gegenwart sein, zeigte der gebürtige Bulgare nicht, wie abgründig das Reisen für Asylsuchende und wie relativ die Bewegung des Reisens ist. Bai Dan zum Beispiel erzählt, damals im Gefängnis sei immer dann „Reisetag“ gewesen, wenn französische Mitgefangene sich an Paris erinnerten. Der verwegene Backgammon-Kaiser und Geschichtenerfinder, Charmeur und Lebenskünstler aus den Bergen des Balkans ist eine Art poetologisches Vermächtnis, mit dem Ilija Trojanow schon in seinem Debütroman klarmachte, dass „Fantasie das Elixier jeden Spiels“ und damit natürlich auch jeden Erzählens ist.

Erste Wohnung, erstes Auto

Trojanows Debütroman ist allerdings auch disparat: Man fragt sich, wie Regisseurin Jette Steckel und Dramaturgin Susanne Meister eine Bühnenform für diese mit Zeitsprüngen operierende Flüchtlingsgeschichte finden wollen. Eine tatsächlich tragfähige Atmosphäre entsteht in der Koproduktion des Hamburger Thalia Theaters mit den Salzburger Festspielen dann zuerst einmal auch nur über Florian Lösches Bühnenbild: Ein gelb leuchtendes Kunstmaisfeld, in dem Bruno Cathomas als Bai Dan wie ein balkanischer David Letterman wütet. Das ist meine Geschichte, will dieser Bai Dan mit seiner voluminösen Wampe, der Schmalzlocke und dem Stutzerbart uns sagen. Bai Dan ist der Taufpate von Alexandar, dessen Eltern mit dem Kleinen aus einem diktatorischen osteuropäischen System über Jugoslawien nach Italien und aus dem dortigen Flüchtlingslager nach Deutschland flüchten.

Im „Gelobten“ kann die Kleinfamilie sich dann immerhin eine Wohnung und das erste Auto leisten. Das allerdings wird zum Sarg für die Eltern. Alexandar überlebt und würde wohl bis in alle Ewigkeit depressiv in Decken gehüllt vor dem Fernseher sitzen, reiste nicht der Taufpate aus den balkanischen Bergen nach Deutschland, um das Patenkind spielerisch wieder ins Leben zurückzuführen.

Mit dieser „Reiseroute“ skizziert Trojanow die Fluchtbewegung der eigenen Familie, die Anfang der 1970er-Jahre in die BRD floh. Als Erzähler richtig stark ist er auf etwa achtzig Seiten, wenn er die Typen und Atmosphären im italienischen Flüchtlingslager entfaltet.

Jette Steckel kann eine feinfühlige Partnerin ihrer Schauspieler sein. Das zahlt sich aus: Lisa Hagmeister ist bei ihr eine Mutter, die der Fluchtenergie ihres Gatten Vasco (Mirco Kreibich) eine zierliche Verweigerung entgegensetzt, dann aber Momente des Glücks in Italien genießt, während Jörg Pohl als etwas scheuer Knabe und später als düster-depressiver Alexandar überzeugt. Dann aber macht Jette Steckel leider, was zu viele der fleißigen Romanbearbeiter und Dramatisierungsolympioniken machen: Die Erzählflut der Vorlage zwar dämmen, sich ansonsten aber mit einer Nacherzählung begnügen.

Emigrantenschicksale

Verwunderlich ist zum Beispiel, dass sie den eigentlichen Schatz des Romans, die Szenen im Flüchtlingslager, nur ansatzweise in Bühnengeschichten verwandelt, prekäre Romanpassagen auf der Bühne aber nachvollzieht. Im ersten Teil des Romans hat Trojanow nicht nur eine Metapher über das Spiel des Lebens im Sinn, sondern beschreibt auch die Tragik heutiger Emigrantenschicksale und transportiert das mit Zeitsprüngen, in denen sich der dann etwa 25-jährige Alexandar seiner Depression hingibt. Jette Steckel findet dafür das Bild eines autistischen Bündels und schickt Jörg Pohl mit einer Schaumstoffmatratze zum Paket verpackt auf die Bühne. Das trägt mit dazu bei, dass es bis zur Pause auf der Bühne nur eine bemühte Annäherung an die weite Welt Ilija Trojanows gibt. Rettung könnte im zweiten Teil des Romans und dessen völlig entgegengesetzter Erzählbewegung lauern.

War da zuerst die Flucht aus der Enge der Diktatur in die Klaustrophobie einer Exil-Depression, kommt jetzt die Rückeroberung der Welt mittels Fantasie. Plötzlich erinnert die Inszenierung sich dann doch noch daran, dass Theater mehr sein kann als die Nacherzählung eines Romans. Die Bühne verwandelt sich in ein großes Styropormeer. Bruno Cathomas und Jörg Pohl ziehen sich am balkanischen Schopf zurück ins Leben der Restwelt. Das wäre ein Bild gewesen, mit dem Jette Steckel der gesamten Bühnenadaption ein Gesicht hätte geben können. Sie hat es wohl zu spät oder gar nicht bemerkt. JÜRGEN BERGER