: Die endlose Minute
„Ein letztes Rotfront, Kameraden!“: Vor 70 Jahren ermordete die Nazi-Justiz den Hamburger Widerstandskämpfer und Arbeiterfunktionär Fiete Schulze
Von Bernhard Röhl
Am 6. Juni 1935 wurde der Hamburger Widerstandskämpfer Fritz Karl Franz – genannt: Fiete – Schulze um 6 Uhr morgens im Untersuchungsgefängnis der Hansestadt hingerichtet. Das Todesurteil wurde vom Scharfrichter Gröpler aus Magdeburg mit dem Handbeil vollstreckt.
An diesem Tag vor 70 Jahren befand sich auch der ehemalige Angehörige der Landespolizei Hamburg, Bruno Meyer, in U-Haft. Er hatte zeitweise als Stellvertreter des Wachhabenden gearbeitet und zusammen mit anderen Antifaschisten versucht, Fiete Schulze aus der Haft zu befreien. Ein Spitzel jedoch hatte den Plan verraten – und Meyer wurde selbst inhaftiert. An jenem Morgen hörte er Schritte vor seinem Zellenfenster.
„Fiete!“, schoss es ihm durch den Kopf. In der Tat sei eine Türe aufgeschlossen und Schulze herausgeführt worden, erinnert sich Bruno Meyer später an diesen Moment. „Mit Stentorstimme rief Fiete über den Hof: ‚Ein letztes Rotfront, Kameraden!‘ – dann kam eine schreckliche Stille. Ein Trupp Mauersegler umjagte schreiend den Häuserkomplex des Gefängnishofes. Und jedes Mal, wenn ich diesen Schrei hoch aus den Lüften höre, steht diese endlose Minute vor mir. Diese Minute des 6. Juni 1935.“
Fiete Schulze, geboren 1894 in Schiffbek, dem heutigen Billstedt, arbeitete als Nieter auf einer Hamburger Werft und trat 1913 in die SPD ein. Nach dem Ersten Weltkrieg schloss er sich der USPD und später der KPD an. Am 23. Oktober 1923 leitete er als Kampfgefährte Ernst Thälmanns die Schiffbeker Aktivitäten beim Hamburger Oktoberaufstand. Nach dessen Scheitern verließ Schulze Deutschland, 1926 emigrierte er in die Sowjetunion.
Nach dem „Altonaer Blutsonntag“ vom 17. Juli 1932 – verursacht durch einen Provokationsmarsch von SA und SS –, der 18 Menschen das Leben kostete, kehrte er nach Hamburg zurück, um Widerstand zu leisten. Am 16. April 1933, dem Ostersonntag, stürmte ein Kommando der Staatspolizei seine Unterkunft in der Altonaer Straße. Nach langer Einzelhaft und Folter wurde am 26. März 1935 das Urteil über Fiete Schulze gesprochen: Dreimal Todesstrafe, 280 Jahre Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Erst im Jahr 1981 hob der Hamburger Generalstaatsanwalt das Terrorurteil auf.
In seiner Rede zum 20. Juli 1969 würdigte der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD) den Hamburger Arbeiterführer explizit als einen der Widerstandskämpfer, die von 1933 bis 1945 „das Opfer des Lebens für Recht und Menschenwürde brachten“. Heinemann zitierte aus dem Abschiedsbrief, den Schulze vor seiner Hinrichtung an seine Schwester geschrieben hatte: „Du haderst mit den Verhältnissen, die Dir den Bruder nehmen. Warum willst Du nicht verstehen, dass ich dafür sterbe, dass viele nicht mehr eines frühen und gewaltsamen Todes zu sterben brauchen? Noch ist es nicht so, doch hilft mein Leben und Sterben es bessern.“