neuwahl 05: die ikea-republik deutschland sieht schwarz-gelb : Die Hungrigen erhoffen sich nichts. Macht aber nichts
taz-Serie: Die Hungrigen, die Satten und die NervösenSie sind die Milieus der Mitte. Politisch nicht festgelegt, materiell leidlich abgesichert, treffen sie sich bei Ikea an der Kasse – und im September an der Wahlurne. Einst machten sie Schröder zum Kanzler – wo stehen sie zur Neuwahl 05? Ein Stimmungstest, ehe der Kampf um Stimmen beginnt.Teil I: Die Praktikanten – jung, ambitioniert und finanziell auf wackligen Beinen. Finden sie unter der neuen Regierung ihren ersten echten Job?Morgen: Die Satten – wie rot-grün denkt der deutsche Lehrer? Teil III: Die Nervösen – warum junge Berater im Job der Atomkraft dienen, im Herzen aber mit den Grünen zittern. pat
Vierzig Stunden pro Woche schuftet Marion für eine PR-Agentur. Die dankt es ihr mit kostenlosem Kaffee, Gehalt gibt es nicht. Ihren Magister in Medienwissenschaften hat die 26-Jährige vor einem Jahr gemacht. Die Noten sind sehr gut, und doch hangelt sie sich seitdem von Praktikum zu Praktikum.
Praktikanten mit Hochschulabschluss sind jung, ehrgeizig und bereit, für eine spätere Karriere beim Geld zurückzustecken. Verkörpern sie damit den Idealtypus des schwarz-gelben Menschenbildes? Den Schritt vom finanziell nicht abgesicherten Praktikanten in ein bürgerliches Leben zumindest werden sie wohl unter einer bürgerlichen Regierung machen – beziehungsweise: Sie werden es versuchen.
In einem modernen Wirtschaftssystem, wie Merkel and friends es fordern, ist Eigeninitiative gefragt. Marion hat nicht Alg II beantragt. Wegen der „Option auf Übernahme“ entschied sie sich fürs unbezahlte Arbeiten, „aber das mit der Übernahme wird ja oft nur so dahingesagt“, sagt sie. Nicht einmal enttäuscht klingt ihre Stimme. Hoffnungslos trifft es eher.
Flexibilisierung ist das Wort der neuen Zeit, und auch Verantwortung – die weniger der Staat als vielmehr der Einzelne für sein Leben übernehmen soll. Doch der Frust ist groß, wenn man dieser Tage mit den flexiblen Praktikanten spricht, deren Flexibilität doch wieder nur ins nächste Praktikum führt. Was erwarten sich die Machthungrigen von den Neu-Mächtigen, die wohl ab Herbst Deutschland regieren werden?
Eigentlich müsste die „Generation Praktikum“ (Die Zeit) ein Haufen von Egoisten sein. Nur nach sich schauen und auf die Arbeitsmarktpolitik der Parteien. So kann man sich täuschen: Die Praktikanten prangern die Firmen an.
Jobs, sagt Marion, würden nicht von Regierungen geschaffen, sondern von Unternehmen. Matthias, 28, mit Magister in VWL und Politologie Praktikant bei einer Bank: „Die Firmen nutzen die schlechte Arbeitsmarktsituation aus, dafür kann die Regierung nichts.“ Jonas, 25, Sportökonomiestudent und Praktikant bei einer Versicherung: „Was soll ich von der Politik erwarten? Einen Job muss ich mir schon selbst suchen.“ Juliane, 22, Praktikantin im Bundestag mit CDU-Parteibuch: „Eine neue Regierung allein schafft den Aufschwung nicht. Da müssen die Unternehmen schon mitarbeiten.“
Die Lebensentwürfe von Marion und Matthias, Jonas und Juliane entsprechen dem Gesellschaftsentwurf der Konservativen. Jeder ist seines Glückes Schmied könnte man verknappt sagen. In dieser Wirklichkeit sind sie allerdings unter Rot-Grün angekommen.
„Natürlich bin ich enttäuscht von Rot-Grün“, sagt Marion. Träume, Ideen und Ziele hatte sie, „bis ich dann gemerkt habe, dass gar nichts geht“. Die Enttäuschung aber, die Angst vor der Zukunft, wird auf ihre Wahlentscheidung keinen Einfluss haben. Grün wird sie wählen wie schon bei den Wahlen zuvor. So ist sie aufgewachsen, so wählen ihre Freunde. Vielleicht geht es darum, nicht auch noch aus dem sozialen Netzwerk herauszufallen.
„Das Praktikantenleben ist doch nur eine Übergangsphase“, sagt Matthias und es klingt, als spräche er sich selbst Mut zu. Kontinuität daher auch bei ihm, dem Pfarrerssohn: SPD wie seit Jahren, weil das S für Sozialdemokratisch steht.
Der Sprecher der Grünen Jugend hat nun als erster Bundestags-Kandidat die hungrigen Praktikanten entdeckt, schließlich ist Wahlkampf. „Akademiker werden nicht mehr angestellt, sondern letztlich nach dem Studium ausgebeutet“, empörte sich Stephan Schilling vergangene Woche im taz-Interview. Ob das hilft? Nadine hat vor drei Jahren noch Rot-Grün gewählt. Ihr Psychologiestudium ist jetzt vorbei und nach einem Jahr Quasi-Arbeitslosigkeit auch die Geduld der 26-Jährigen. Im Herbst will sie ihre Stimme der Union geben, „viel schlechter kann es ja nicht mehr werden“, sagt sie. Ihre Eltern streichen ihr nach dem achten Praktikum die Unterstützung. Noch zwei Wochen hat Nadine, dann droht Alg II.
MADLEN OTTENSCHLÄGER