HAMBURGER SZENE VON MAXIMILIAN PROBST : Unergründbares Wissen
Nie weißt du, was Kinder wissen. Da saßen wir neulich bei Freunden vor der Tagesschau, auf dem Sofa turnte eine Schar Kinder, eins aber, kaum sechs Jahre alt, blickte gespannt auf die Mattscheibe. Nach einer Weile sagte der Kleine: „Warum tut der Mann im Fernsehen so, als würde er mit uns sprechen? Er ist doch ganz allein.“
Intuitiv hatte der Kleine begriffen, dass der Fernseher eine Integrationsmaßnahme darstellt, um die Einsamkeit zu ertragen, die in der Gesellschaft des Spektakels unser Los ist. Wozu auch sonst all die direkten Anreden: „Bleiben Sie dran!“, „Lassen Sie sich überraschen!“, „Was denken Sie?“ Aber was wir denken, und ob wir am Ende überrascht sind – dem Mann im Fernsehen ist es mehr als gleich, ihm ist es schnurz piep wurst. Er ist allein. Wir sind allein. Alles andere ist Getue. Als gäbe es die Gegenrede, als gäbe es das Gegenwort. „Hey du“, brüllte der Kleine schließlich der Fernsehfigur entgegen – die aber mit einem ungerührten „Auf Wiedersehen und bis zum nächsten Mal“ von der Bildfläche verschwand.
Auch über das Wissen meines dreijährigen Sohnes habe ich mich wenig später wundern müssen. Da hatte er zum ersten Mal – Gott weiß, wo er’s hernahm – das Wort „Feierabend“ verwendet. Den hätte vielleicht der Doktor Soundso schon, sagte er, als ich dabei war, die Tür des Kinderarztes aufzustoßen.