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Großer Tag für die Kurzen

Heute, am kürzesten Tag des Jahres, wird im ganzen Land der „Kurzfilmtag“ gefeiert. Über 460 Veranstaltungen sind es mittlerweile. Auch im Norden gibt es etliche Programme

Von Wilfried Hippen

Ein Mann sitzt an einem Tisch vor einem gekochten Ei. Er schlägt es mit einem Löffel an, und man hört eine Stimme, die fragt, wer denn da anklopft. Er schlägt weiter auf das Ei ein und die Stimme antwortet zuerst erstaunt, dann zornig, verzweifelt und mit Schreien. Als schließlich der Mann das Ei völlig kaputtgeschlagen hat, schweigt die Stimme. Der Mann bleibt sitzen und hört ein Klopfen. Er schaut an die Zimmerdecke, die langsam von immer mehr Rissen durchzogen wird und wir sehen jetzt, dass er ­genau so auf die zunehmende Zerstörung des Raumes reagiert, wie wir es schon vorher gehört haben.

Den animierten Kurzfilm „The Killing of an Egg“ des Niederländers Paul Driessen habe ich in den späten 1970er-Jahren ein- oder zweimal gesehen und nie vergessen. Denn er ist ein perfektes Beispiel für einen gelungenen Kurzfilm. Da reicht oft schon eine gute Idee und ein Konzept, durch das Inhalt und Form zu einer Einheit verschmelzen. Der Kurzfilm ist wie eine Zeichnung, eine Erzählung oder ein Lied – die kleine Form der Filmkunst. Es gibt Filmgattungen, bei denen der Kurzfilm sehr beliebt ist. So etwa der Animationsfilm, weil hier für jede Filmsekunde sehr viel Arbeit und Zeit aufgewendet werden muss. Oder der Experimentalfilm, denn auch wenn dort das Experiment gelingt, erweist es sich nur selten als abendfüllend.

Das kommerzielle Kino kann allerdings mit dem Kurzfilm wenig anfangen. Deshalb fehlt es an Plattformen, auf denen er einem größerem Publikum näher gebracht wird. Das hat sich durch das Internet ein wenig geändert. Heute kann man „The Killing of an Egg“ ohne viel Aufwand auf Youtube ansehen (https://t1p.de/9fj8i).

Auf Filmfestivals sind die Kurzfilmprogramme oft Publikumsrenner und in ­einigen Kommunalkinos gibt es einen Kurzfilm im Vorprogramm. Aber davon abgesehen werden Kurzfilme nur selten auf großen Leinwänden gezeigt.

Darum organisiert und koordiniert der Bundesverband Deutscher Kurzfilm seit zwölf Jahren am kürzesten Tag des Jahres, dem 21. Dezember, den „Kurzfilmtag“. Der ist längst zu einem riesigen Event mit mehr als 460 Veranstaltungen in über 200 bundesdeutschen Städten und Gemeinden geworden. Das ist auch deshalb eine kulturpolitisch wichtige Initiative, weil die Programme nicht nur in den etablierten Kinos und großen Städten gezeigt werden, sondern auch an Orten und in Räumen, wo sonst kaum Filmkunst stattfindet.

Sportlich unter freiem Himmel

So gibt es etwa heute Abend eine Vorführung von Kurzfilmen im Lüneburger Salzmuseum, eine andere in der „Alten Töpferei“ in Wietze, einen „kurzweiligen Kurzfilmabend“ in der Kulturscheune Barnten und das Programm „Winterflimmern“ in der Stadtkirche Glückstadt.

An machen Orte sind die Ver­an­stal­­­­­te­r*in­­nen zudem sportlich und bieten Kino unter freiem Himmel an. So könnte etwa in Hamburg das „Kinder-Kurzfilm-Winter-Open-Air“ in der „Superbude Altona Paradise“ ins Wasser fallen. Und auch das Programm „Kurz nach Draußen“ im Innenhof der Oldenburger Kultur­etage ist wohl eher etwas für abgehärtete Filmliebhaber*innen.

Bei den meisten Veranstaltungen laufen Kurzfilmprogramme, die von der AG Kino des Bundesverbands kuratiert und zur Verfügung gestellt werden. Im Angebot sind dort 20 digitale „Kurzfilmrollen“, darunter etwa „Balanceakt“ mit Kurzfilmen der Filmakademie Baden-Württemberg, „Golden Shorts 2023“ mit den „Highlights des Interfilm-Festivals“ oder „Hier und Laut“ vom Kurzfilmverleih Hamburg.

Aber einige Ver­an­stal­te­r*in­nen präsentieren auch Programme mit selbst ausgewählten Kurzfilmen. So zeigt das Kino Universum in Braunschweig das Programm „Short After Dark“ mit Gruselfilmen. In Kiel wird im Studio Filmtheater ein Programm mit dem (recht unbescheidenen) Titel „die besten Kurzfilme aller Zeiten – Vol. II“ angepriesen. Und im Huddy Studio in Bremen laufen „nachdenkliche und berührende Kurzfilme rund um die Schwebe des Lebens und unser Miteinander“ unter dem Titel „Liebe Digga, Liebe!

Besondere Mühe hat man sich im Hamburger Kommunalkino Metropolis gegeben. Dort werden einige Klassiker des Hamburger Animationsfilmers Franz Winzentsen aus den 1960er-Jahren gezeigt. Diese ursprünglich für Kinder produzierten Frühwerke mit Titeln wie „Als die Igel größer wurden“, „Kanaligator“ und „Attentäter“ sind zwar für Zu­schaue­r*in­nen ab 6 Jahren empfohlen. Der surreale Witz von Winzentsen dürfte heute aber wohl eher die ­Eltern und Großeltern amüsieren.

Kurzfilmtag: heute, Veranstaltungsorte und Programme sich unter https://kurzfilmtag.com

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