: Man muss eben kontrazyklisch arbeiten
GALERIE Ungewöhnliche Erfolgsgeschichte: Die KOW Gallery besetzt linke Themen und kann sich damit in Berlin halten, trotz Finanzkrise und gut versteckter Lage. Dieses Wochenende nehmen sie am Gallery Weekend teil
VON TIM ACKERMANN
Im Boomjahr 2007, als die Sammler den Händlern die Bilder fast von den Wänden rissen, da hatten Alexander Koch, Nikolaus Oberhuber und Jocelyn Wolff eine gute Idee: Sie beschlossen, eine Galerie zu gründen. Eineinhalb Jahre später, als die Weltmärkte zusammengebrochen waren und sich nicht wenige Kunsthändler Sorgen machten, wie sie die Miete für ihre Wände aufbringen sollten, hatten Koch, Oberhuber und Wolff eine vermeintlich schlechte Idee: Sie setzten ihren Galerietraum in Berlin in die Tat um. „Wir haben uns damals keine Gedanken gemacht, ob wir die Welle vielleicht gerade verpasst haben“, sagt der studierte Ökonom Oberhuber. „Außerdem muss man kontrazyklisch arbeiten können.“
Auf der Kölner Kunstmesse haben Koch und Oberhuber vor ein paar Tagen einen Preis für ihren Stand eingeheimst. Nicht nur das zeigt, wie richtig die Galerieidee augenscheinlich war. Die KOW Gallery – benannt nach den Anfangsbuchstaben der Gründungspartner – erfreut sich seit Herbst 2009 einiger Beachtung.
Unfreiwilliger Fitnesstest
Wer die Galerie in einem von Architekten Arno Brandlhuber entworfenen Haus in der Brunnenstraße besuchen will, unterwirft sich unfreiwillig einem Fitnesstest: Es geht auf einen Hinterhof, dann eine freistehende Betontreppe hinauf, bevor man im ersten Stock das Galeriebüro betritt und danach wieder zu Kunst hinabsteigt. „Wer es einmal zu uns geschafft hat, ist auch wirklich da“, erklärt Alexander Koch die Verweigerung eines Ausstellungsbesuchs light, während er vor der Galerietür noch schnell eine Zigarette raucht.
Es sollte auch niemand glauben, dass die KOW Gallery nach dem Kunsttouristenmausefallenprinzip funktioniert: einmal und nie wieder. Es ist schon so, dass man stets gern die Treppen hinauf- und hinabsteigt. Denn bei KOW gab es in den vergangenen eineinhalb Jahren wirklich sehr gute Ausstellungen zu sehen: Tobias Zielonys Fotozyklus „Le Vele di Scampia“ über mafiaverseuchte Sozialbausiedlungen in Neapel, Franz Erhard Walthers radikalen „Partizipatorischen Minimalismus“ der frühen Sechziger oder auch die explosive Paarung von Cady Nolands Patronenhülsen und Handgranaten in Plexiglaskuben mit Santiago Sierras ausgestelltem Kriegsveteran, der in einer Ecke des Raums stand und sich schämte. Allen KOW-Künstlern ist gemein, dass sich ihre skeptische Grundhaltung zunächst auf die gesellschaftlichen Zustände aber danach oft auch auf die eigene Arbeit erstreckt.
Mit KOW ist etwas entstanden, was durchaus besonders ist für Berlin: eine dezidiert linke Galerie, die sich nicht anfühlt wie ein Off-Space. Der hohe Grad der Professionalität von Koch und Oberhuber hängt auch mit einer internen Diskursschärfung zusammen, die Veranstaltungen und Buchpublikationen umfasst. Zudem sind Ausstellungseinführungstexte prinzipiell nicht unter einer Din-A4-Seite zu haben. Für gewöhnlich verfasst sie Koch. Der 38-Jährige hatte sich zuvor als Kurator und Theoretiker einen Namen gemacht. „Unser Ziel war ein Ort, der ähnlich wie eine Institution ein gesellschaftspolitisches Programm hat“, erklärt er. „Auf der anderen Seite wollen wir über die Galerie eine Ökonomie für künstlerische Positionen herstellen, von denen wir glauben, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommen müssten – weil sie sich mit Dingen beschäftigen, die die Gesellschaft interessieren sollte.“
Als linker Galerist ist man nun schnell dem Vorwurf ausgesetzt, zwar systemkritische Kunst zeigen zu wollen, aber doch selbst williger Profiteur des Marktes zu sein. Koch bezeichnet den Wunsch nach Marktferne im Gegenzug als linke Selbstmarginalisierung. „Wenn Sie einen Künstler wichtig finden und ins Museum bringen wollen, brauchen sie heute das Galeriensystem“, sagt er. Aus dieser Haltung heraus nehmen KOW auch am Gallery Weekend teil – dem Großevent, bei dem ab Freitag über 50 Berliner Galerien zeitgleich zur Vernissage laden, bei dem es ein Gala-Dinner für über 700 geladene VIP-Sammler gibt und Ausstellungen von gefeierten Malerfürsten wie Julian Schnabel. „Man kann die Plattform des Gallery Weekend ja auch nutzen, um eine politische Position zu zeigen“, schlägt der 36-jährige Oberhuber vor.
In diesem Jahr ist bei KOW die Wahl auf Alice Creischer gefallen. Dass die Kritikerin von Magazinen wie „Texte zur Kunst“ oder „Springerin“ auch seit Jahrzehnten Kunst macht, wissen nicht viele. In ihrer ersten Einzelausstellung – „Das Establishment der Tatsachen“ – beschäftigt sich Creischer mit dem Wissenschaftler Robert Boyle, der im 17. Jahrhundert die Vakuumpumpe erfand und darüber in Streit mit dem Staatstheoretiker Thomas Hobbes geriet, der Luftleere als potenziell nationengefährdend einstufte. Dass Boyle bei seinen Pumpenexperimenten auch den Tierversuch miterfand, regte dagegen niemand auf.
Für die Ausstellung hat die 1960 geborene Künstlerin allerlei zusammengetragen: Zeichnungen von Labormäusen und ihre genetischen Codes, Zitate von Anarchisten und Fotografien von den jüngsten Unruhen in London. Das alles zu erfassen braucht seine Zeit. Aber zu KOW kommt man, um zu bleiben. Und nirgendwo wird man so anregend über die Zusammenhänge von Vakuumpumpen und Herrschaftsverhältnissen aufgeklärt wie hier.