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Archiv-Artikel

Kartell der Einfallslosigkeit

DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER

Die linke Misere:Auch PDS und WASG bieten nur den alten Staats- und Wachstumssozialismus

An einer gelungenen Performance ist dem Medienkanzler offenbar nicht mehr gelegen. Nur mit seinem Rücktritt würde Gerhard Schröder Selbstachtung beweisen und sich den Respekt einer breiten politischen Öffentlichkeit sichern können. Statt dessen wird er, in Kollaboration mit einem müde gewordenen Kabinett, die verfassungsrechtliche Trickserei mit der „Vertrauensfrage“ durchziehen. Dass er uns nun wieder einen seiner Fakes zumutet, hat einen Beigeschmack von Würdelosigkeit. Es verwischt obendrein die klare Sicht auf die Ausmaße des Desasters. Wolfgang Clement zum Beispiel, der größte Unglücksrabe der rot-grünen Regierung, kann seine Klempnerei mit Hartz IV, Ich-AGs und Ein-Euro-Jobs noch immer als sozialpolitische Erfolgsstory verkaufen.

Seit Münteferings Ankündigung vorgezogener Wahlen ist überdeutlich geworden, dass sich nicht nur die Machtverhältnisse verschoben haben – und dass nicht nur die Architektur der Parteienlandschaft gravierenden Verwerfungen ausgesetzt ist. Vielmehr treibt unsere politische Kultur in eine Krise: nicht, weil die nächste Regierung nach Lage der Dinge von einer schwarz-gelben Koalition gebildet werden wird, sondern weil sich schon unter der jetzigen ein breites Kartell der Einfallslosigkeit zusammengebraut hat. Alle warten nun auf Merkel mit ihrer Kiste neuer Werkzeuge. Die neuen Instrumente werden sich von den alten freilich nur darin unterscheiden, dass sie das Primat der Politik noch rasanter als bisher an eine von den gesellschaftlichen Bedürfnissen längst abgelöste Wirtschaftsdynamik ausliefern werden: an die Diktatur der Börse, an Shareholdervalues und internationale Investitionsgesellschaften.

Manche Leute hoffen darauf, dass es unter einer Kanzlerin Angela Merkel mit Rot-Grün „endlich wieder“ eine linke Opposition geben werde. Links könnte aber nur eine Opposition sein, die dem Politischen wieder zu seiner zivilisatorischen Funktion verhelfen könnte: zu seiner Subjektgestalt in einer von Menschen gemachten und nicht von den Konzernen als Naturschicksal verhängten Geschichte. Diese Opposition wird es nicht geben. Sicher, die „Linken“ in der SPD werden in der kommenden Legislaturperiode von Fall zu Fall der „sozialen Gerechtigkeit“ rhetorische Kränze flechten. Aber das, was sie so bezeichnen, bewegt sich schon jetzt in den eng gezogenen Grenzen jener neoliberal definierten „Agenda 2010“, die die SPD-Linke selbst, wenn auch zähneknirschend, mit auf den Weg gebracht hat. Das Kartell der Einfallslosigkeit steht – gerade auch dank der Unterwerfungspolitik, zu der sich die Redlichen und Gerechten um Ottmar Schreiner verbiegen ließen.

Und die Grünen? Als parlamentarische Alternative, die mit neuen Inhalten und frischen Ideen aufwartet, haben sie in den letzten sieben Jahren ihre Seele verkauft. Als Mehrheitsbeschaffer, die wie einst die FDP dem jeweiligen Wahlsieger ihre Dienste als Koalitionspartner offerieren, sind sie (noch) nicht im Geschäft. Eine Situation zwischen Baum und Borke, die ihnen im September den bundespolitischen Garaus bereiten könnte. Es rächt sich, dass die Grünen, ihrer linken Herkunft ungeachtet, nie ernsthaft und kontinuierlich über eine intelligente Wirtschafts- und Sozialpolitik nachgedacht, sondern sich darauf beschränkt haben, das konzeptionslose Flickwerk von Schröder/Clement lautlos durchzuwinken: einer Klientel zuliebe, der die allgemeine Finanzlage wurscht ist, solange die eigene Kasse stimmt.

Auf der Strecke blieb, was 1998 als „sozial-ökologische Erneuerung“ zum „rot-grünen Projekt“ geadelt worden war: Der soziale Umbau geriet zur Demontage, die ökologischen Innovationen blieben im Dosenpfand und im langsamen Abschied von der Atomenergie stecken. Es ist richtig, dass die große Koalition des „Weiter so“, die nach den Wahlen, in welcher parteipolitischen Zusammensetzung auch immer, die Geschicke der Republik lenken wird, nach einer linken Opposition geradezu schreit. Nur – das Pathos, das in der Beschwörung einer „historischen Chance“ der Linken widerhallt, klingt hohl, solange kleinkarierte Polittechnokraten Prozentzahlen nachrechnen und zwei egomane Aussteiger aus dem Politgeschäft nicht so genau wissen, ob und wie sich die historische Stunde medienwirksam mit ihrem Comeback synchronisieren lässt.

Doch die wirkliche Ursache der linken Misere liegt tiefer. Sie besteht darin, dass auch PDS und WASG, Gysi wie Lafontaine nichts anderes als den alten Staats- und Wachstumssozialismus anzubieten haben, der nur die Aufteilung des Kuchens anders, nämlich nachfrageorientiert organisieren will. Ein bisschen Keynes, ein bisschen Marx – und ziemlich viel Moral. Im Ruf nach wirtschaftlichem Wachstum finden alle– von den neoliberalen Schnelldenkern bis zu den Orthodoxen in der PDS – trotz gelegentlicher Kakofonie den gleichen Kammerton. Dabei ist seit mehr als drei Jahrzehnten unbestreitbar, dass unser Produktionssystem die Grenzen des Wachstums erreicht hat und, bei unverändertem Kurs, die Energieressourcen der Menschheit in absehbarer Zeit erschöpft, ihre Lebensgrundlagen zerstört sein werden. Wer sehenden Auges noch immer Wachstum predigt, betreibt angewandte Idiotie.

In der Gründungsphase der Grünen gehörte die Wachstumsfrage zum Kernbestand ihres Denkens, und selbst im „rot-grünen Projekt“ schwang noch die Verheißung mit, es gehe um das größere Projekt einer Versöhnung zwischen Mensch und Natur. Eine Linke, welche die kommenden Jahrzehnte mitgestalten will, muss dieses Projekt wieder beleben, anstatt sich daran zu beteiligen, den Verschleißzyklus nützlicher und (zunehmend) unnützer Gebrauchsgüter zu beschleunigen und Mitteleuropa endgültig mit Beton zuzudecken.

Es rächt sich, dass die Grünen nie ernsthaft über eine intelligente Wirtschafts- und Sozialpolitik nachdachten

Die Entfesselung der Marktkräfte hat die politischen Energien gelähmt und jenes parteiübergreifende Kartell der Einfallslosigkeit zementiert, das für die gegenwärtige Apathie zuständig ist. Einfallslosigkeit kann epidemische Ausmaße erreichen und, weit über den politischen Raum hinaus, die gesellschaftlichen Institutionen infizieren. Sie steckt Gewerkschafts- und Kirchenführer an, befällt die Kommentatoren in den Medien von den Leitartiklern bis zu den Gastronomierezensenten und führt in den Fundamenten des Gemeinwesens, in den Denkweisen der Normalverbraucher zu intellektueller Starre und Lethargie.

Das gilt weltweit. Doch dass China und Indien mit ihren Eliten zu wirtschaftlichen Großmächten aufsteigen, während den ländlichen Massen in Asien und Afrika das Trinkwasser entzogen, die Anbauflächen vernichtet und die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft genommen werden, kann nicht im Sinn einer global funktionierenden Marktwirtschaft sein. Kapitalismus pur ist nicht vernunftbegabt; wer nur wirtschaftet, braucht zivilisierende, in der Regel: linke Impulse. So wie die großen Unternehmer des frühen 20. Jahrhunderts viel von Marx gelernt haben, benötigen auch die Strategen der globalen Märkte von heute geistlichen Beistand: eine linke Ratio, die etwas vom gemeinnützigen Wirtschaften jenseits des Wachstumswahns versteht.