berliner szenen: Weiblicher Torso mit Kalauer
Es hat mich in den Hörsaal einer Berliner Universität verschlagen, weil eine Schriftstellerin, die ich schätze, dort einen Vortrag hält. Die Frau ist sehr klug. Sie hat ein zu Recht viel beachtetes Buch geschrieben, in dem viele wunderbare Sätze stehen. Ihren heutigen Vortrag hält sie auf Englisch; aber ihr gleichbleibender Tonfall und ihr starker Akzent machen es wahnsinnig anstrengend, ihr zu folgen. Schon nach fünf Minuten bin ich todmüde.
Um mich wach zu halten, schreibe ich ab und zu einen Satz mit, was aber nicht lange hilft. Außerdem knurrt mir der Magen. Erste Personen schleichen sich aus dem Saal, verfolgt von sehnsuchtsvollen Blicken. Ich selbst komme hier beim besten Willen nicht unauffällig raus, denn unbedacht habe ich mich genau in die Mitte gesetzt. Leise schiebe ich meine Notizen zur Seite und vertiefe mich in die Inschriften, die von der aktuellen Studierendengeneration auf meinem Pult hinterlassen wurden. Zahlreiche Darstellungen weiblicher Geschlechtsmerkmale in unterschiedlichen Graden der Stilisierung sind dort verewigt.
Einem weiblichem Torso mit sehr schönem Gesicht und nur einer Brust steht „Kurdistan!“ quer über die Stirn geschrieben. Daneben prangt eine mit schrillen Edding-Farben erstellte, ziemlich versierte Modezeichnung eines Ballkleids. Und drumherum eine Reihe von Kalauern, die alle mit dem Wort „Egal“ anfangen. „Egal wie chillig du bist, Friedrich war Schiller“. Oder, in holprigem Rhythmus: „Egal wie neu der Mannschaftsarzt bei Bayern ist, der Torwart ist Neuer“. Besser gelungen finde ich „Egal wie pleite du bist, du kannst immer von der Leyen“.
Zeichnerisch aber mit großem Abstand am opulentesten ausgeführt – 3D mit mehrfarbiger Schattierung – steht oben auf der Stiftablage: „Egal was du kochst. Karl Marx.“ Mann, bin ich hungrig. Katharina Granzin
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