piwik no script img

Der Garten, der fern bleibt

BUCHVORSTELLUNG Der englische Sachbuchautor erzählt in „Rote Zukunft“ sowjetische Nachkriegsgeschichte. Eine Lesung macht Hunger auf mehr

Es gab mal ein Land, in dem die Devise galt: „Aus Versprechen kann man keine Suppe machen.“ Ein Land, das in Gänze „ein eigenes Büro, eine eigene Fabrik“ war. Hier wuchsen die jungen Generationen nicht einfach heran – sie wurden „gemacht“. Dort hauste ein Volk, das sich Sowjets nannte. Dessen bis in die 70er Jahre hineinreichende Nachkriegsgeschichte hat nun der renommierte englische Sachbuchautor Francis Spufford ungemein spannend und bewegend aufgeschrieben.

„Rote Zukunft“ (im Original „Red Plenty“) heißt Spuffords angenehm zu lesende, prägnante und doch von tragischer Poesie durchzogene Geschichtsstunde. Eigenwillig an ihr ist, dass sie wie ein heterogener Erzählband daherkommt, zahllose persönliche Perspektiven liefert und doch ein 576 Seiten starkes Non-Fiction-Werk ist. Schwierigkeiten mit der Definition hat dann auch der Rowohlt-Lektor Marcus Gärtner gehabt. „Niemand wollte das Buch machen außer mir“, sagt der Programmchef Taschenbuch/Belletristik, als er das Buch in der Kreuzberger Bar Kvartira No. 62 vorstellt. Der Ort passt: Rot-goldene Tapeten umkleiden einen Tresenraum, durch den alte Wodkaflaschen und Matrjoschkapuppen paradieren.

Vier kleine Episoden darf sich das Publikum anhören, gelesen von Jan Valk, dem Übersetzer, und dem Redakteur Patrick Hutsch. Zu Beginn geht es in die Tiefen von Chruschtschows Gedankenwelt, der 1959, auf einem Tupolew-Flug, still den Besuch beim Klassenfeind vorbereitet – „wir werden uns nicht schlagen lassen“. Ein Beamer wirft währenddessen historische Fotodokumente der Reise auf die Leinwand vor der Tapete. Lacher gibt es, als ein alter, bärtiger Zausel, der aussieht, als sei er gerade der sibirischen Tundra entsprungen, den Bildern wehmütig ein „Nikita Sergejewitsch!“ zuruft.

Es folgt die Amerikanische Nationalausstellung in Moskau, bei der „jede Form von Konfrontation“ vermieden werden sollte. Galina, Protagonistin der Episode, staunt über die auf riesigen Bildschirmen gezeigte Tageschronik amerikanischen Alltags. Es geht hin und her zwischen Landschaftspanoramen, glänzenden Highwaykarossen und staubgesaugten „riesigen Wohnzimmern, die aussahen wie Bühnenkulissen“. Zielsicher erkennt sie das eingeflogene US-Fachpersonal daran, dass es unentwegt lächelt.

Am Ende darf wieder Chruschtschow ran, der – als „pensioniertes Monster“ – frustriert auf der eigenen Datscha sitzt und ein endloses Weizenfeld mit den Augen umpflügt. Da weiß der ehemalige Regierungschef schon, dass der Siegeszug des Kapitalismus alle kommunistischen „Versprechen“ konsumgerecht zuschütten wird. Der Kalte Krieg feiert Halbzeit, und Chruschtschow denkt bitter an einen Garten, der einfach nicht näher kommt, einen Garten, „in dem der Löwe friedlich neben dem Lamm ruhte“.

JAN SCHEPER

■ Francis Spufford: „Rote Zukunft“. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 576 Seiten, 14,99 Euro

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen