„Die Grünen sind eine elitäre Partei“

INTERVIEW JENS KÖNIG

taz: Herr Gysi, Sie sprechen von einer „historisch einmaligen Chance“ für die Linken. Worin genau besteht diese Chance, und was macht sie eigentlich historisch so einmalig?

Gregor Gysi: Alle in Deutschland haben sich vereinigt – die Einzigen, die nicht vereinigt sind, sind die Linken. Wir haben auf der einen Seite die PDS, die den Sprung in den Westen kaum geschafft hat. Wir haben auf der anderen Seite die neu gegründete Linkspartei WASG, die im Osten so gut wie nicht vorkommt. Die PDS muss zwei Dinge zur Kenntnis nehmen: Es gibt offenbar ein zunehmendes Bedürfnis nach einer linken Alternative, auch in den alten Bundesländern. Aber diese Leute kommen kaum zu uns. Also sollten wir uns vereinigen. Mit einer linken Partei neben der SPD könnte ein Stück europäische Normalität in Deutschland entstehen.

Und warum soll das eine historisch nicht wiederkehrende Gelegenheit sein?

Das habe ich nicht gesagt. Ich glaube auch nicht, dass diese Einschätzung zutrifft. Vielleicht gäbe es, wenn uns das Linksbündnis jetzt nicht gelänge, irgendwann eine zweite Chance, aber sie wäre von vornherein mit dem Makel des Scheiterns beim ersten Mal behaftet. Der Druck ist jetzt besonders hoch. Das sollten wir ausnutzen.

Wenn das alles stimmt – warum kommt eine solche Debatte erst durch ein Interview Oskar Lafontaines in der Bild -Zeitung zustande? Spricht nicht allein das schon für den Unernst des ganzen Unternehmens?

Bild hat, im Unterschied zur taz, eine riesige Auflage. Ich bin früher in der PDS kritisiert worden, wenn ich der Bild-Zeitung ab und zu ein Interview gegeben habe. Meine Antwort lautete: Ich möchte auch einmal von 15 Millionen Menschen gelesen werden.

Sie sind einer der wenigen, die mit Lafontaine über das Projekt der Linkspartei geredet haben. Was treibt diesen Mann? Rache an Schröder?

Ich bin immer wieder erstaunt, wie eindimensional bestimmte Menschen gesehen werden. Lafontaine hat ein sehr komplexes Leben hinter sich. Ich bin nicht sein Psychologe, ich werde ihn hier nicht analysieren. Aber eines ist doch klar: Der Mann weiß mit Sicherheit, dass Schröder längst in der Niederlage lebt, dazu braucht es ihn nicht mehr. Ich glaube, dass Lafontaine mehr an die SPD als an Schröder denkt. Vielleicht will er, dass eine Linkspartei in Deutschland entsteht, von der er hofft, sie verbreite das Linke in der SPD.

Zusammengehalten wird das Linksbündnis nur von Lafontaine und Gysi. Suchen hier zwei alternde Politstars verzweifelt nach ihrem Weg in die Geschichtsbücher?

Vergessen Sie’s. Lafontaine und ich sind in einem Alter, wo wir solche Eitelkeiten nicht mehr nötig haben.

Bis zur voraussichtlichen Bundestagswahl im Herbst ist die Zeit zur Gründung einer Linkspartei ohnehin zu kurz.

Das ist richtig. Schröder hat uns mit seiner Ankündigung von Neuwahlen einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht. Das soll man ruhig so offen sagen. Das Projekt war ursprünglich für 2006 geplant. Jetzt sind PDS und WASG dabei zu entscheiden, welche Form des Zusammengehens bis zum 18. September realisiert werden kann. Auch wenn man in der Kürze der Zeit nicht alles schafft, was man sich ursprünglich vorgenommen hatte – die Vereinigung sollte als unumkehrbarer Prozess beginnen. Er sollte nach der Bundestagswahl weitergehen und innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen sein.

Sollte Lafontaine für dieses Linksbündnis kandidieren?

Ich bin sehr dafür. Nach dem großen Medieninteresse sind wir beide dazu verpflichtet, das, was wir angeschoben haben, auch weiterzuführen. Vielleicht kann Lafontaine ja einen Beitrag dazu leisten, dass diese Linkspartei und die SPD in ein paar Jahren etwas miteinander anfangen können.

Eine Koalition mit SPD und Grünen im Herbst 2005 ist ausgeschlossen?

Für mich vollkommen. Die Frage einer Koalition auf Bundesebene steht gegenwärtig überhaupt nicht. Die neoliberale Politik ist von uns nicht zu tolerieren, egal, ob sie von Schröder oder Merkel gemacht wird. In vier Jahren kann das anders aussehen.

Linksabspaltungen von der SPD sind in der Geschichte immer gescheitert. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Im rheinischen Kapitalismus gab es für solche Abspaltungen nie eine Basis. Jetzt haben wir eine andere Situation. Erstens hat die DDR eine andere Sicht auf soziale Fragen geprägt, die mit der deutschen Vereinigung nicht verschwunden ist. Zweitens mäßigt sich der Kapitalismus nicht mehr. Er sieht überhaupt nicht mehr ein, dass er wegen irgendwelcher Sozialleistungen seinen Gewinn reduzieren soll. Die Sozialdemokratie nimmt das einfach hin. Also ist die Zeit reif für eine Partei links von der SPD.

Die Spaltung der Linken hat historisch immer den Rechten genützt. „Für die Union ist Oskar ein nützlicher Idiot“, sagt Jürgen Trittin. Ist Gysi auch ein nützlicher Idiot für Merkel?

Dieser Vorwurf ist absurd. Wenn Rot-Grün eine bessere Politik gemacht hätte, hätte ein Linksbündnis keine Chance. Außerdem sollte sich Trittin ganz genau überlegen, ob er lieber eine linke oder eine rechtsextreme Opposition haben will. Eine Opposition zu Rot-Grün kriegt er auf jeden Fall. Was diese Regierung sozial geboten hat, ist für Millionen Menschen nicht hinnehmbar.

Nur mal so nebenbei: SPD und Grüne – die zählen für Sie nicht mehr zum linken Lager?

So einfach würde ich das nicht sagen. Die Grünen haben einige vernünftige Ansätze, die ich teile: in der Ökologie, der Integration von Ausländern, der Gleichstellungspolitik. Was die ökonomischen und sozialen Fragen betrifft, traue ich den Grünen jedoch keinen Meter über den Weg. Da werden sie der FDP immer ähnlicher. Die Grünen sind eine elitäre Partei. Sie setzen sich stets für die Senkung des Spitzensteuersatzes ein. Sie haben die Haltung von ehemaligen Hausbesetzern, die jetzt Hausbesitzer sind. Bei der SPD sieht das anders aus. Die Partei hat gar keine andere Chance, als zu ihren linken Wurzeln zurückzukehren.

Also alles Neoliberale?

Das sind nicht alles Neoliberale, aber SPD und Grüne machen eine neoliberale Politik. Was wir in Deutschland und Europa jedoch brauchen, sind Alternativen zum neoliberalen Zeitgeist.

Was verstehen Sie unter dem „neoliberalen Zeitgeist“?

Die überall verbreitete Auffassung, dass Deutschland wirtschaftlich nur dann vorankommt, wenn für Konzerne und Besserverdienende die Steuern gesenkt und gleichzeitig Löhne sowie Sozialleistungen gekürzt werden. Diese Einstellung hat leider selbst die Betroffenen erfasst. Ich kenne Menschen, die wenig verdienen, die mir jedoch lang und breit erklären, warum das richtig ist.

Was hat ein Linksbündnis mehr zu bieten als den Protest gegen die bestehenden Verhältnisse?

Einen Zeitgeist kann man nur überwinden, wenn man glaubwürdige Alternativen hat.

Also, wo sind Ihre Alternativen?

Die PDS hat taugliche Vorschläge in der Renten-, Gesundheits- und Steuerpolitik entwickelt. In der Arbeitsmarktpolitik arbeitet sie noch daran. Die PDS fordert schon lange eine grundlegende Reform der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, mit dem Ziel, alle Arbeitslose in die Arbeitslosenversicherung zurückzuholen. Sie verlangt die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Sie tritt für die Einführung einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung ein. Ich könnte die Aufzählung fortführen.

Sie sind nicht ernsthaft davon überzeugt, dass diese Vorschläge die komplexen gesellschaftlichen Probleme lösen können, oder?

Es kann sein, dass die Vorschläge nicht alle voll ausgereift sind. Wichtig ist jedoch vor allem ein anderer Ansatz der Diskussion. Ich muss den Wählern doch eine politische Alternative bieten, sonst können sie sich bei der Bundestagswahl nur noch entscheiden, ob sie zum Beispiel als Arbeitslose von Schröder oder von Merkel schikaniert werden wollen.

Was macht die Linkspartei WASG eigentlich so attraktiv für die PDS? Das ist doch ein glanzloser Verein enttäuschter Gewerkschafter und SPD- Dissidenten, vorwiegend Männer, zwischen 50 und 60 Jahre alt.

Ich kenne die Mitglieder der WASG nicht. Ich tue auch nicht so, als würde ich sie kennen. Aber die Strukturen und Personen der Partei sind zweitrangig. Die WASG artikuliert ganz offensichtlich ein reales Bedürfnis. Sie hat ohne einen einzigen bekannten Namen und ohne großen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen 2,2 Prozent gewonnen. Nun kann man sagen, das ist wenig. Ich finde das eher viel. Die PDS hat das nach 15 Jahren dort immer noch nicht geschafft.

Haben Sie sich innerlich von der PDS verabschiedet?

Nein. Die PDS hat meiner Meinung nach zum Ende der DDR und in den 90er-Jahren in Ostdeutschland eine historisch wichtige Rolle gespielt. Aber jetzt geht es darum, dass sie ihre Identität erweitert. Die PDS muss sich verändern.

Warum?

Wir haben nur eine Zukunft, wenn wir eine Linkskraft für ganz Deutschland werden. Es reicht nicht, sich als linke Volkspartei mit kleinbürgerlichen Zügen in den ostdeutschen Ländern zu etablieren.

Die ostdeutsche, leicht muffige Ausstrahlung hat der PDS bislang aber das Überleben gesichert.

Wir müssen unsere kritische Ostsicht auf den Vereinigungsprozess auch bewahren. In dieser Frage muss die PDS gegenüber der WASG regelrecht stur sein. Aber wir brauchen auch Zugang zu den neuen Eliten. Die anderen Parteien haben den Fehler gemacht, die gesamten Eliten der DDR in die Nähe zur PDS zu drücken. Das hat uns den anderen Parteien im Osten in den ersten Jahren intellektuell überlegen gemacht. Aber irgendwann sind ehemalige Eliten wirklich ehemalig. Der PDS fehlen bestimmte intellektuelle Auseinandersetzungen, weil wir mit den neuen Eliten zu wenig zu tun haben. Da können Regierungsbeteiligungen helfen – vor allem aber eine gesamtdeutsche Verankerung.

Sie standen über zehn Jahre lang an der Spitze der PDS. Welche Fehler haben Sie selbst gemacht, dass die PDS nicht so ist, wie Sie sich sie immer gewünscht haben?

Der vielleicht größte Fehler hatte mit einer Überforderung zu tun: Ich wusste nicht wirklich, wie man eine Partei wie die PDS in ganz Deutschland einführt. Ich musste versuchen, die alte Bundesrepublik vom Bundestag aus kennen zu lernen. Der blödeste Ausgangspunkt, den man wählen konnte. Ich habe unterschätzt, wie sehr die DDR für die Generation eines Gerhard Schröder oder Joschka Fischer Ausland war. Eine Partei aus dem Osten stößt bis heute auf eine kulturelle Ablehnung im Westen, das hat sich auch nach 15 Jahren nicht gegeben. Dafür sehe ich bis heute keine Lösung. Außer in der gegebenen Chance zur Vereinigung der Linken.