: Der Bio-Knast
Strafgefangene auf Gut Maßhalderbuch arbeiten im Freien, haben Gemeinschaftszimmer und Urlaub – für manche eine harte Probe. Denn bei der auf dem Gut praktizierten Form des offenen Vollzugs, einer Mischung aus Knast und Bauernhof, liegt die Freiheit nur scheinbar zum Greifen nahe
von Barbara Opitz
Es gibt Zoff auf Zimmer zehn. Geballte Fäuste, fliegender Speichel und Lärm bis ins Treppenhaus. „Wichser sind das“, sagt Mark, 26, kurze Haare, Jogginghose. Er sitzt auf Zimmer acht und spielt mit Lukas aus der Fünf Backgammon. „Faule Säcke. Nehmen das hier nicht ernst, 'n Kindergarten halt. Die wissen nicht, was echter Knast bedeutet.“
Die Luft ist verqualmt. Sechs Mann wohnen in einem Zimmer. Schläger, Räuber und Dealer genauso wie jene, die den Unterhalt für ihre Kinder nicht gezahlt haben. Auf 20 Quadratmetern müssen sie verteilen, was sie zum Leben brauchen: Cornflakes, Wasserkocher, Töpfe, ein Pin-up-Kalender. Daneben Fotos: Männer mit Frauen im Arm, Kinder unterm Weihnachtsbaum. Privatsphäre gibt es nicht. Etagenbetten wie dunkle Höhlen, verhängt mit schweren Wolldecken, geben Sichtschutz. Badelatschen stehen paarweise davor. Ordnung muss sein, bei so viel Nähe. Am Waschbecken, neben einem nackten Frauenhintern, hängt der Spruch: „Sorge dich nicht um deine Zukunft, überlasse sie Gott, er wird es richtig machen.“
„Wenn du einmal im Strudel bist, kommst du schwer wieder raus“, sagt Mark. Er ist wegen mehrfacher Körperverletzung vorbestraft. Fünf Jahre hat er schon abgesessen, in den Gefängnissen von Rottenburg, Pforzheim und Ravensburg. Seine letzte Station ist Maßhalderbuch – Außenstelle der JVA Rottenburg – auf der Schwäbischen Alb, Bauernhof und Knast in einem. Tagsüber arbeitet er ohne Mauer, ohne Stacheldrahtzaun. Nachts schläft er hinter vergitterten Fenstern. Offenen Vollzug nennt man das.
Nach Maßhalderbuch kommen die, die nicht gemordet oder vergewaltigt haben, die wieder auf das richtige Leben vorbereitet werden sollen. 30 Mann – zusammen mit 90 Kühen, 40 Mastochsen, 20 Schweinen, 1.000 Hühnern, Gänsen und Enten. Sieben Stunden arbeiten die Gefangenen am Tag. In der Landwirtschaft nicht viel. Es geht hier vor allem darum, die Gefangenen zu beschäftigen, ihrem Tag Struktur zu geben.
Mark wischt die Spielsteine mit dem Arm vom Brett. „Das macht er immer so“, sagt Lukas. „Er kann nicht verlieren.“ Mark lehnt sich zurück und greift nach dem letzten Nusskuchen, den Lukas heute in der Gemeinschaftsküche gebacken hat.
„Hier musst du dich an die Spielregeln halten. Im Rottenburger Knast ist es einfacher, Tür auf, Tür zu“, sagt Lukas. Er ist 28, sitzt wegen Heroin- und Kokainhandel. Ein Bekannter hatte ihn verpfiffen.
Lukas ist Wiederholungstäter. Er weiß, wie sich „richtiges Gefängnis“ anfühlt. 9,5 Quadratmeter Einzelzelle, die Tür ist 23 Stunden am Tag verschlossen. In Maßhalderbuch bewegt er sich frei, dafür muss er sich zusammenreißen. „Wirste provoziert, lass es geschehen, sonst wanderst zu zurück nach Rottenburg.“ Manchmal sei das grausamer als Einzelhaft. „Wir müssen miteinander auskommen“, sagt Mark, „du hast hier keine Freunde, wir sind 'ne Schicksalsgemeinschaft.“
Es schellt, Schichteinteilung. Acht Häftlinge in Blaumann und grünem Parka trotten an Werkstatt, Scheune und Kälberstall vorbei in Richtung Kartoffelhalle. Dort sollen sie am Förderband sortieren, die großen für ein Hotel, die faulen kommen weg. Besser als Kuhmist wegmachen, sagt einer.
Auch eine Strafe: Das Geld reicht nie
Die Männer sind „auf Kommando“, so nennt man auf Maßhalderbuch die niederen Arbeiten: kehren, ausmisten, Heu stapeln und sortieren. „Dabei verdienen wir kaum was“, zischt einer kopfschüttelnd, während er unter Aufsicht Kartoffeln sortiert. 120 Euro im Monat bleiben ihnen zur freien Verfügung, davon gehen noch Fernsehmiete, Strom, Duschgeld und Telefonkarten ab. Zwei Mal im Monat kommt ein Bus mit Tabak, Zeitschriften, und Seife. „Dafür reicht es nie.“ Der aufpassende Beamte staunt: „Das ist aber doch auch eine Strafe hier.“
„Das vergessen viele am Anfang“, sagt Mark. „Es ist und bleibt aber ein Knast. Freiheitsentzug, darin liegt die Strafe. Dass wir den Hof nicht verlassen dürfen, obwohl das Leben draußen greifbar ist.“
Er hat es bald geschafft, im Januar soll er entlassen werden. Die Strafe hat er dann abgesessen. Fünf gegen vier, mit Stiefeln und Stahlkappen. Die anderen waren Junkies. Er trat ihnen ins Gesicht, auf den Brustkorb, immer wieder. Bei einem hat sich die Rippe in die Lunge gebohrt. „Wär sie zusammengefallen, wär der heute tot“, sagt Mark. Damals hat er vier Jahre bekommen, kam nach drei Jahren auf Bewährung raus. Damit konnte Mark nichts anfangen. Auf dem Dorffest brach er einem Mann die Nase, „prophylaktisch, obwohl der noch nicht mal Ausländer war“.
Mark ist bekennender Neonazi. Auf seinem Hals prangt das Hakenkreuz. Damit es jeder weiß. So groß wie eine ausgestreckte Männerhand. Ohne würde er vielleicht als netter Kerl durchgehen. Wache Augen, weiche Gesichtszüge. Die Statur zwischen Bulle und Babyspeck. „Sich schlagen, das Blut. Gewalt ist auch was Herrliches.“ Ihm könnte es wieder passieren, sagt er. „Ich suche es. Ich bin so jemand.“ Mit Lukas versteht er sich gut, obwohl er Pole ist. „Der sei eben kein typischer Pole.“ Mit einem „Neger“ auf dem Zimmer, das ginge nicht.
Der Knast und das Dorf sind zwei verschiedene Welten
Bei den Dorfbewohnern ist Maßhalderbuch kaum Thema. Freitags kaufen einige im Hofladen auf dem Gut ihre Bioprodukte. Nur sonntags in der Kirche fallen die tätowierten Häftlinge auf. Still sitzen sie dann in den Bänken, zwischen denen in Mantel und Hut, den Normalen, genießen die Ruhe, das Alleinsein. Sonst überschneiden sich die Welten nicht.
Natürlich hauen manche ab, sagt ein Beamter. Meist passiert es im Affekt. Wenn einer im Ausgang doch Alkohol getrunken hat und dann Angst hat, zurückzukommen. Oder wenn zu Hause die Freundin Schluss macht. „Es ist schwer, dann wieder ruhig ins Gefängnis zu spazieren.“ Die meisten werden wieder gefasst – oder sie kommen freiwillig zurück. „So eine Flucht ist Stress.“
Mark ist heute für den Kuhstall eingeteilt. Laut hallen die Hufe, nervöses Getrampel, als die Kühe in den Melkbereich getrieben werden. Mark ist gelernter Metzger und kennt sich mit den Tieren aus. Die Arbeit im Stall tut ihm gut, sagt er. „Hier kann ich nachdenken.“
Sein Sohn war ein Jahr alt, als er den Junkie fast erschlug. Heute ist er sieben. Mark packt die Hufe eines Tieres und bringt sie in Position, „Ruuuuhig“, ruft er und reibt das pralle Euter vorsichtig mit einem Tuch ab, „die müssen sauber sein“, sagt er und dockt die Melkmaschine an.
Gegen 16 Uhr haben die ersten Feierabend. Für sie beginnt jetzt der langweiligere Teil; Fernseher sind ein Muss. Christof sitzt in Zimmer neun, im Hintergrund läuft „Die Schulermittler“, eine RTL-Dokusoap. Es riecht nach Vanille. „Air-Wick“, sagt Christof. Er ist für die Hausreinigung zuständig. „Ein Scheißjob. Den Dreck der anderen wegmachen.“ Er hat extra ein Plakat aufgeklebt: „Bitte die Toilette sauber halten, keine Popel an die Wand schmieren und alle kurzen Schwänze näher ans Pissbecken.“ Es half nicht, „die machen das extra“.
Christof hat vor sechs Jahren einen Elektrohändler mit einer Pistole bedroht, „ich wollte nur das Geld“, sagt er. Als der Mann nicht reagierte, bekam Christof Panik, schlug ihn mit der Waffe nieder – der Mann bekam einen Herzinfarkt. Nächstes Jahr kommt Christof aus dem Gefängnis. Er will es schaffen, das freie Leben. Als Maler und Lackierer bei seinem Bruder arbeiten. Und seinen Sohn von den Pflegeeltern zu sich holen.
Oft reden die Männer darüber, wie schwer ihnen die Freiheit im Knast fällt. Vor allem, wenn andere sie ausnutzen, nicht mitarbeiten, provozieren. „Manchmal wär es schön, wenn einer der Beamten wegschauen würde“, sagt Christof, damit sie die Sache unter sich regeln können. „Die ständige Versuchung ist das Schlimme. Du kannst abhauen. Sofort. Darfst es aber nicht. Sonst machst du alles kaputt.“
Es schellt zum Abendessen. Heute gibt es etwas Besonderes: Wurstsalat. Die Männer stehen vor der Küche in einer Reihe, jeder hält einen Teller. Mark fehlt. Er sitzt draußen auf den Treppen. Er ist allein, vornübergebeugt, hält die Hände vors Gesicht. „Der kämpft gerade mit sich“, sagt einer der Beamten mit einem Nicken in Marks Richtung. Gerade hat Mark erfahren, dass ein neues Verfahren auf ihn zukommt. „Da stand noch was offen, 'ne Schlägerei“, sagt der Beamte. Mark hatte damit gerechnet, dass die Sache nicht zum Prozess kommt. Für ihn bedeutet das vielleicht zurück in die JVA Rottenburg. Seinen Sohn wird er dann nicht mehr so schnell sehen. Mark blickt hoch, sein Blick schweift in die dunklen Wälder, bleibt haften. Dann steht er auf, geht hinein. Die Tür fällt ins Schloss.