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Archiv-Artikel

Karlsruhe gegen Zwangsdarlehen

Verfassungsgericht verwirft Modell, mit dem eine Tochter zur Zahlung der Pflegekosten ihrer Mutter „leistungsfähig“ gemacht werden sollte

FREIBURG taz ■ Das Bundesverfassungsgericht hat gestern ein bisher einzigartiges Modell, wie Kinder für die Heimkosten ihrer Eltern haften müssen, verworfen. Sozialämter dürfen die Kinder nicht zur Aufnahme von Zwangsdarlehen verpflichten.

Geklagt hatte eine Frau aus dem Ruhrgebiet, deren Mutter lange im Pflegeheim lebte. Da die Rente der pflegebedürftigen Mutter nicht ausreichte, kam das Bochumer Sozialamt für die restlichen Kosten auf. Erst nach dem Tod der Mutter versuchte das Amt 63.000 Euro Heimkosten bei den Angehörigen einzutreiben. Die Tochter besaß zwar eine Doppelhaushälfte, doch musste sie diese nach unumstrittener Rechtslage nicht verkaufen, weil sonst ihre Altersversorgung gefährdet gewesen wäre.

Deshalb entwickelte das Landgericht Duisburg ein Modell, das allein die Erben der kinderlosen Frau belastet hätte. Das Sozialamt hätte die Heimkosten der Mutter bis zum Tod der heute 66-jährigen Tochter gestundet und dieses Darlehen mit einer Grundschuld auf die Doppelhaushälfte gesichert. Die Frau hätte bis zu ihrem Tod ohne große Nachteile in ihrer Haushälfte wohnen bleiben können, erst dann hätte der Staat kassiert. Dieses Modell wäre wohl bundesweit nachgeahmt worden – wenn Karlsruhe es akzeptiert hätte.

Doch mit deutlichen Worten erklärten die Verfassungsrichter gestern, dass es für solche Zwangsdarlehen derzeit keinerlei Rechtsgrundlage gebe. Das Landgericht Duisburg habe sich hier so weit von geltenden Gesetzen entfernt, dass sein Urteil nicht nur falsch, sondern sogar verfassungswidrig sei. Karlsruhe deutete an, dass vielleicht nicht einmal der Gesetzgeber eine derartige Zwangsdarlehen-Lösung einführen könnte, da sich der Staat sonst zu einfach vor der Zahlung von Sozialhilfe drücken könnte.

Entgegen der weit verbreiteten Erwartung enthält das Urteil wenig Neues und beschreibt im Wesentlichen die geltende Gesetzeslage. Demnach sieht das Bürgerliche Gesetzbuch vor, dass Kinder gegenüber ihren Eltern nur eingeschränkt unterhaltspflichtig sind und so sichergestellt ist, dass ein den „Lebensumständen entsprechender eigener Unterhalt verbleibt“. Einzelheiten hierzu hat bisher schon der Bundesgerichtshof entwickelt.

Die Richter halten diese eingeschränkte Haftung der Kinder für ihre Eltern auch für vernünftig. Denn wenn Eltern pflegebedürftig werden, hätten die Kinder meist selbst schon Familien gegründet und müssten auch für ihre eigene Altersabsicherung sorgen. (Az. 1 BvR 1508/96)

CHRISTIAN RATH