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Vielstimmige europäische Eintracht

Beim Dresdner Festival „Fast Forward“ fand junges, facettenreiches Theater zueinander

Von Michael Bartsch

Dieser 13. Jahrgang des Fast-Forward-Festivals am Dresdner Staatsschauspiel kann getrost als ein glücklicher bezeichnet werden. Keine Corona-Kompromisse mehr, alles live. Und die Scharen, die auf den Parcours zwischen Kleinem Haus, Hellerau oder Labortheater der Kunsthochschule pendelten, waren im Durchschnitt kaum älter als die in den 1990ern geborenen RegisseurInnen und ihre Ensembles. Von denen kam durchweg darstellerisch Großartiges, freilich in sehr unterschiedlichen Genres, bei denen die Geschmacksurteile ein­setzen.

„Die sieben Inszenierungen haben sich gegenseitig gefunden“, erklärte Kuratorin Charlotte Orti von Havranek zur Begrüßung. Das alte Goethe-Wort „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“ lässt sich im besten Sinn auf diese Summe der Verschiedenheiten anwenden. Einmal mehr erweist sich die Suche nach Trends, also nach einem Mainstream unter den Nichtmitschwimmern, als müßig.

Aufgefallen ist in diesem Jahr lediglich die häufige Verarbeitung „klassischer“ Stückvorlagen. Anfang Februar hatte im Theater an der Ruhr Mülheim der „Woyzeck“ des feministischen Theaterkollektivs Glossy Pain seine Premiere. Nur auf den ersten Blick ignoriert diese Version die mit dem Büchner-Fragment verbundene Erkenntnis, dass der Getretene immer noch einen unter ihm findet, den er wiederum treten kann. Oder ermorden, wie Franz die Marie stellvertretend für seine nicht greifbaren Erniedriger.

Von dieser Marie erhofft der grüblerische, komplexbeladene Franz nämlich auch vergeblich die Kompensation eigener Defizite. Worauf die zurückgehen, bleibt allerdings unklar. Regisseurin Katharina Stoll pickt sich aus Büchner die Beziehungsanalyse heraus, versetzt das Geschehen in eine realitätsfern aufgeräumte WG-Küche – Intimitäten und der Mord finden unsichtbar nebenan statt – und reduziert das Personarium auf das Paar plus Mitbewohnerin Margret. In dieser Konstellation taugt Franz weder zum Opfer der Verhältnisse noch zum frauenmordenden Mustermann.

Marie möchte zwar „weich bleiben“, umgeben von „Strukturen von Gewalt“. Aber beide Frauen gehören der Generation Fun an. Vom „toxisch männlichen“ Andres, einem „Tier“, lässt sie sich nämlich ganz gern überwältigen. Da wirken sonstige negative Männerklischees ziemlich aufgesetzt, wie der Bericht von der widerlichen Begegnung mit einem Entblößer in der Straßenbahn oder die Schlussformeln Maries von einer Flucht ins Frauenhaus und der angeblichen Nachsicht der Justiz gegenüber Männergewalt. Franz ist solche Übergriffigkeit ursprünglich zutiefst fern. Er klammert sich obsessiv nur an den einzigen Halt Marie, wobei seine Haltlosigkeit, anders als im Original, mit nichts erklärt wird. Ebenso wenig kann sich der Zuschauende dann seine planvolle Attacke auf die Geliebte erklären.

Mitreißend ist die Klassik-Adaption von Minna Lund und ihrem hyperpräsenten fünfköpfigen finnischen Ensemble, das mit einer Kombination von Tschechows „Kirschgarten“ und dem Palahniuk-Roman „Fight Club“ „Messages from Tyler“ darbietet. Protagonist Tyler Durden bricht hier als verkörperte Gewalt und Rücksichtslosigkeit in die Auseinandersetzungen um das heruntergekommene russische Familienerbe und dessen Verkauf ein. Während das Publikum im Stile des immersiven Theaters an der als Kampfplatz inszenierten Festtafel Platz nehmen kann, wird darauf mit Tempo und vehementem Körpereinsatz gespielt.

Überzogene Erwartungen hingegen weckte die Ankündigung des deutsch-norwegischen Beitrags „Second Season“, basierend auf Carl Zuckmayers Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“ (1925). Nichts vom zeitlichen Kontext zu Hitlers „Mein Kampf“, erschienen im selben Jahr, und auch nichts vom Irrtum Zuckmayers, mit derbem Humor das Aufkommen der faschistischen Gewalt weglachen zu können. Einfach nur eine freilich sehr gekonnte Parodie der vier Akteurinnen auf das seinerzeit populärste deutsche Volksstück.

Franz taugt weder zum Opfer der Verhältnisse noch zum frauenmordenden Mustermann

Den Publikumspreis hätte man nach dem noch nächtelang beschäftigenden griechischen Auftakt eher für „Goodbye, Lindita“ erwarten können. Nach einem grandiosen, metaphorisch verrätselten Spiel ohne Worte trat nämlich statt der üblichen Begeisterungsschreie nach dem Black eine ungewohnte lange Stille ein, ehe sich der Saal zu stehendem Applaus erhob.

Überraschend aber gingen sowohl der Publikumspreis als auch der Preis der Jury an die Ein-Mann-Lecture-Performance „Koulounisation“ des Belgiers Salim Djaferi. Man wird den Verdacht einer Konzession an den Zeittrend der wiederentdeckten Kolonialverbrechen und der Selbstanklage der Alten Welt nicht ganz los. Djaferi untersucht in seiner Performance anhand von Sprache die Unterdrückung arabischer Traditionen während der französischen Kolonialzeit (1830–1962) Dabei werden vor allem Fragen aufgeworfen, etwa: Wie übersetzt man „Kolonisation“ ins Arabische? Oder: Was sagen Sprachgebrauch, „phonetische Interferenzen“ über Machtverhältnisse aus? Ästhetisch, sinnlich, theatralisch gab es weit stärkere Festivalbeiträge. Die Idee dieser szenischen etymologischen Vorlesung bleibt aber anerkennenswert.

Die Schüler der Jugendjury prämierten derweil die serbische Familiengeschichte „Our Son“ von Patrik Lazić, in der der homosexuelle Sohn mit seinen zutiefst gläubigen Eltern einen Weg der Akzeptanz sucht.

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