: Wer hat Angst vor der bösen Wölfin?
Angela Merkel – Kanzlerin? Für viele MigrantInnen in Deutschland ist das eine Horrorvorstellung. Müssen wir Angst haben vor der Integrationspolitik, die uns unter einer schwarz-gelben Regierung erwartet? Oh nein – das wäre endlich eine Chance für eine echte Integrationspolitik. Eine Polemik
VON SEYRAN ATES
Gratulation an Deutschland: Angela Merkel könnte Bundeskanzlerin werden. Ein Märchen wie aus Tausendundeiner Nacht, made by Abendland.
Ob eine Frau aus einer linken Partei in puncto Geschlechterdemokratie so weit gekommen wäre? Diese Frage ist, jedenfalls für die nahe Zukunft, beantwortet: Nein. Auch wenn die Linken meinen, einen großen Anteil daran zu haben, dass nun eine Frau das Land regieren könnte, bleibt ein schaler Beigeschmack, denn der Feminismus war immer eine linke Bastion.
Müssen wir nun Angst haben, dass eine schwarz-gelbe Regierung „Ausländer“ (dieses Wörtchen könnte wieder aufleben!) schlecht behandelt? Dass eine gute Integrationspolitik behindert wird? Meine Antwort darauf ist: Ich bleibe gelassen, wie bei jedem Regierungswechsel.
Was Angela Merkel über Integration tatsächlich denkt, was sie politisch aus ihren Gedanken machen will, ist nicht überliefert. Wir wissen lediglich, dass ihr der Gedanke einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU Bauchschmerzen bereitet. Unabhängig davon, dass die Unionskandidatin für mich zu der Sorte „deutscher Ureinwohner“ gehört, die keine besonders authentische Ahnung von den Lebensrealitäten der MigrantInnen in Deutschland und dem Leben der Menschen in der Türkei haben, ist mein Eindruck: Eine schlechtere als die jetzige Integrationspolitik kann eine Unionsregierung gar nicht machen.
Wenn die Linke sich in der Opposition wiederfindet, könnte es sogar sein, dass endlich mit einer vernünftigen Integrationspolitik begonnen wird. Wir sind in einer Debatte über Integration, europaweit, von der die Merkel-Regierung profitieren und die sie als eigene verkaufen könnte.
Bis zum Beginn der Ära Helmut Kohl gab es eine Zeit des Desinteresses, der Zurückweisung und, vorsichtig gesagt, der Orientierung, dass die Menschen, die in unser Land kamen, keine Arbeitsbienen sind – sondern eben Menschen, die hier auch leben wollten. Unter Kohl hieß es, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Immerhin: Heiner Geißler trug als CDU-Politiker die Idee der multikulturellen Gesellschaft in seine Partei und in die Öffentlichkeit.
Der erstaunliche Realitätssinn des früheren Familienministers fand jedoch keine rechte Resonanz – weder in seiner Partei noch bei den Multikultifanatikern. Denn Geißler meinte kein Nebeneinander von Kulturen, keine Erlösung der Deutschen durch MigrantInnen. Sondern eine Vermischung, Chancengleichheit – und keine Separation. Seine Argumente blieben ungehört. Ob Geißler auf die Kanzlerkandidatin Einfluss haben kann, sei dahingestellt. Interessant ist nur, was mit der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und die bisherige Integrationspolitik gescheitert ist, gemacht werden kann.
Für mich ist Multikulti, wie die meisten Linken und Grünen es verstehen, out. Das, was es sieben rot-grüne Jahre lang bedeutet hat. Angela Merkel könnte nun ernten, was wir früher säten. So ist es eben, wenn man die Ernte der Früchte anderen überlässt, weil man selber Gelegenheiten nicht nutzt. Das ist für mich, Sozialdemokratin mit Parteibuch, schmerzlich, aber mein Verstand zwingt mich, klar zu denken.
Bei dem Thema Integration scheinen „links“ und „rechts“ einer anderen Ordnung unterworfen zu sein. Finden doch viele Kritikerinnen der Multikultifanatiker gerade viel Zuspruch in der Union. Und finden sich sogar, wie im Falle von Ayaan Hirsi Ali aus den Niederlanden, durchaus in einer rechtsliberalen Partei wieder. Dass das so kommen musste, dass die somalischstämmige Niederländerin nur in einer konservativ-liberalen Partei eine politische Heimat fand, ist traurig – aber sie, die Kritikerin von Verhältnissen, die Multikulti genannt werden, aber in Wirklichkeit nur das Wegschauen fördern, sollte in der Sozialdemokratie keinen Platz mehr haben.
Hirsi Ali nennt man umstritten – wie auch mich. Umstritten: ein Wort, das einen bösen Klang hat, weil es insgeheim auch „Nestbeschmutzerin“ meint. Wundert es Linke und Alternative nicht wenigstens, dass Frauen wie Hirsi Ali, wie alle, die auf die Gefahren der Parallelgesellschaften hinweisen und jeden Kompromiss mit archaisch-patriarchalen Traditionen ablehnen, bei Konservativen eher ein Ohr finden als bei jenen Parteien, die als erste Rassismus kritisierten und, wie hier in Deutschland, eine gute Integrationspolitik forderten? Mich selbst irritiert mitunter, dass ich zeitweilig eher von Annette Schavan (CDU) oder vom Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, einem rechten Sozialdemokraten, ernst genommen werde.
Erst durch die Hetzkampagne der Hürriyet gegen Necla Kelek, Serap Cileli und mich sind einige Linke wachgerüttelt worden und stellen sich die Frage: Was läuft schief in diesem Land? Einige Linke haben die Hetzkampagne sogar unterstützt, weil man offenbar fand, dass wir einem angeblichen Rassismus das Wort redeten. Oder lag es daran, dass wir „nur“ Frauen sind? Weil wir ins Konzept der guten Parallelgesellschaften nicht passen wollen? Weil wir uns vom Vorwurf des Rassismus nicht einschüchtern lassen wollen – und deshalb Zwangsverheiratung, Ehrenmorde und überhaupt die oft miesen Lebensverhältnisse von Frauen in muslimischen Vierteln kennen und kritisieren? Die Erde ist rund, und sie dreht sich!
Ich habe mich immer sehr weit links gefühlt. Es ist deshalb besonders absurd, eine Politikerin, die sich ebenfalls links fühlen wird, scharf zu kritisieren: Marieluise Beck, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, eine Grüne. Menschlich verstehe ich mich sehr gut mit ihr, aber politisch werde ich oft wahnsinnig, wenn ich sie reden höre. Ich frage mich, ob sie wirklich meint, was sie sagt – oder ob ich so begriffsstutzig bin.
Sie hat das Kopftuch von Lehrerinnen verteidigt und seinen politischen Symbolwert nicht mit aller Konsequenz erkennen wollen; sie warnt davor, Zwangsehen und arrangierte Ehen nicht zu vermengen; sie warnt überhaupt vor zu heftiger Kritik an Minderheiten wie MigrantInnen, damit sie sich einer Integration nicht verschließen. Außerdem sei die Mehrheit von ihnen integriert – was ich als ungeheure Bagatellisierung der Probleme empfinde.
Rot-Grün muss keine Träne nachgeweint werden. Jedenfalls nicht, was die Integrationspolitik anbelangt. In der Ära Kohl waren wir, MigrantInnen, ein Nichts – in den sieben Jahren der Regierung Schröder waren wir dann am beliebtesten, wenn wir als Opfer wahrgenommen werden konnten. Der Mehrheitsdeutschen, der notorischen Rassisten … Opfer der Verhältnisse.
Sieben Jahre Augenwischerei. Man feiert, wie vor einigen Tagen, den Karneval der Kulturen und merkt nicht einmal, dass er nicht das repräsentiert, was die Wirklichkeit von migrantischen Frauen ausmacht. Mein Verdacht wird immer stärker: Multikulti ist deshalb den Mehrheitsdeutschen eine besondere Liebe, weil die Idee nichts kostet. Man liebt die Feste, lässt sich die Leckereien aus allen Ländern schmecken, lobt die Weltmusik – aber hinter die Wohnungstüren will man besser nicht gucken.
Eine gute Integrationspolitik ist eine, die sich die Verhältnisse anguckt, die einen Blick verdienen: dass Zwangsehen ebenso wie die Nötigung, das Kopftuch zu tragen, Menschenrechtsverletzungen sind; dass Gewalt gegen Migrantinnen nicht nur aus materieller Not kommt, sondern mehrheitlich aus einem islamisch verstandenen Menschenbild, das der Frau keine Gleichberechtigung zuerkennt, sondern sie als Eigentum ihres Ehemannes ansieht. Geschlechterdemokratie? Meistens ein Gerücht. Eine gute Integrationspolitik steckt jede Menge in die Schulen, gerade in Migrantenviertel, fördert die Kinder und deren Potenziale, ermutigt die Frauen, auch gegen ihre Familien. Eine gute Integrationspolitik macht Druck auf alle Verhältnisse – und glaubt nicht, dass Druck nur verschrecken muss. Eine gute Integrationspolitik setzt nicht nur auf Freiwilligkeit. Auch auf Druck. Er kann auch Pflicht zum Handeln bedeuten. Eine gute Integrationspolitk fordert – und fördert.
Das zu sagen mag, aus der Perspektive von Multikultifanatikern, nestbeschmutzend sein. Okay. Dann ist es das. Dann aber, so gesehen, wurde es auch Zeit, dass dieses ungemütliche Nest auch beschmutzt wird.
Spätestens vorigen Samstag muss jedem Multikultimenschen bewusst geworden sein, dass ein deutsch-türkisches Miteinander kaum existiert. An diesem Tag fand das „Türkisch-Europäische Kulturfest“ statt. Die Straße des 17. Juni in Berlin war eingehüllt von tausenden Türkeifahnen, was per se nicht abzulehnen ist und auch bei mir durchaus positive Gefühle weckt, weil so etwas möglich ist. Aber mir fehlten die anderen europäischen Fahnen. Wo waren die anderen europäischen Kulturen, mit denen man feiern wollte? Mit denen man ein Gemeinschaftsgefühl erleben wollte. Ich habe sie vergeblich gesucht. Die Multikultis waren übrigens auch nicht zu sehen! Wenn im Ergebnis, wie im Tagesspiegel zu lesen stand, eine 18-jährige Gymnasiastin sagt: „Aber wir sind halt in unsere Fahne und in unser Land verliebt“, spricht das Bände für deutsche Integrationspolitik.
Angela Merkel kann den Beweis antreten, dass sie, anders als ihr politischer Ziehvater Helmut Kohl, Integration ernst nimmt. Dass sie initiativ wird – und die vielen Menschen, die nach Deutschland in der Hoffnung auf ein besseres Leben kamen, ernst nimmt. Sie, Frauen wie Männer, die ihr neues Land gerade wegen seiner Freiheit schätzen und schützen mögen, verdienen einen glaubwürdigen Schutz gegen eine Politik, die in MigrantInnen zunächst nur bedauernswerte Opfer sieht. In diesem Sinne sehe ich den Entwicklungen sehr gelassen entgegen.