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Archiv-Artikel

Der Untergang der Niederlande

Wissenschaftler warnen vor den drastischen Folgen des Klimawandels für Meere und Küsten. Dass der Meeresspiegel ansteigt, ist Konsens, fragt sich nur, wie stark und wie plötzlich. Im Wasser gespeichertes Kohlendioxid macht Ozeane immer saurer

AUS HAMBURG GERNOT KNÖDLER

Der Klimawandel wird der deutschen Nordseeküste einen steigenden Meeresspiegel bescheren – und damit höheren Erosionsdruck. Das ist Konsens unter 350 Experten, die auf der Meeresumwelt-Tagung des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg zwei Tage lang diskutierten. Strittig dagegen ist, ob der Anstieg in diesem Jahrhundert „nur“ zwanzig Zentimeter oder sechs Meter betragen wird. „Es gibt Indizien, nach denen das Grönland-Eis in 50 bis 100 Jahren abgeschmolzen ist“, so Detlef Stammer vom Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften (ZMAW) der Uni Hamburg. Die Folge: „Dann ist Holland weg.“

Die Wissenschaftler gingen zunächst vom Status quo aus: Bliebe es bei den heutigen Wasserständen, wäre die deutsche Küste nach Einschätzung von Sylvin Müller-Navarras vom BSH nicht gefährdeter als bisher. Zusammen mit Kollegen hat er die schlimmstmöglichen Wetterlagen für die Deutsche Bucht durchgerechnet. Die Wahrscheinlichkeit, dass die bisher schlimmste Sturmflut von 1976 übertroffen wird, ist demnach gering. Das liegt unter anderem an der verbesserten Vorsorge. Müller-Navarras: „Eine Zunahme des Pegels auf sein erreichtes Maximum bis 1,50 Meter ist von den Deichen zu verkraften.“

Doch beim heutigen Meeresspiegel wird es nicht bleiben. „In den vergangenen Jahrhunderten ist er jeweils um 10 Zentimeter angestiegen“, erläutert Burkhardt Flemming von der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft in Wilhelmshaven. In der Nordsee stieg er um fast 20 Zentimeter, was einer Senkung der Küste zuzuschreiben sei. Flemming: „Ein höherer Meeresspiegel führt dazu, dass sich die Inseln landwärts verlagern und dass der Anteil des Schlickwatts zurückgeht.“

Wegen der vielen sich überlagernden Einflüsse ist es allerdings schwierig, den Meeresspiegelanstieg an der Nordseeküste präzise zu messen. Für den Experten Flemming heißt das aber nicht, dass es ihn nicht gibt. „Das Ganze setzt ganz plötzlich ein“, prophezeite er. Als warnendes Beispiel nannte er die nordfriesische Küste, wo im Mittelalter viel Land durch schwere Sturmfluten verloren ging. Ein abrupter Klimawandel ist auch heute möglich. „Wir sollten uns nicht der Erwartung hingeben, dass das nicht mit viel Aufregung abläuft“, warnte ein Tagungsteilnehmer.

Bislang nämlich haben die Ozeane den Klimawandel gebremst, indem sie 40 Prozent des anthropogenen Kohlendioxids (CO2) – also des menschengemachten Beitrags zum Klimawandel – aufgenommen haben, wie Arne Körtzinger vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-Geomar) referierte. Doch das schafft neue Probleme. Die enormen Mengen – 25 Millionen Tonnen gelangten pro Minute ins Meer – veränderten den an sich sehr stabilen ph-Wert des Wassers. Es wird sauer – wie Sprudel mit Kohlensäure. „Seit vorindustrieller Zeit hat sich der ph-Wert um ein Zehntel verringert“, so Körtzinger. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es vier Zehntel sein. Experimente zeigten, dass viele Mikroorganismen dann nur noch kümmerliche Kalkschalen bilden können.

Dazu kommt eine wärmebedingte Abnahme des Sauerstoff-Gehalts im Wasser. Sie verändert Körtzinger zufolge die biologische Verfügbarkeit von Stickstoff, Phosphor und Eisen. Das Plankton hat weniger zu fressen, die Basis der Nahrungspyramide im Meer wird schmaler. Weil das nur erste Hinweise auf künftige Veränderungen sind, steht für Körtzinger fest: „Wir müssen dem Patienten viel öfter und genauer den Puls tasten.“

www.bsh.de