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Archiv-Artikel

Die gekommenen Aufstände

ZUKUNFTSTHEATER Die Elektro-Performance „Wir sind ein Bild aus der Zukunft“ sucht nach Wegen aus dem Getto der Gegenwart

„Wir sind ein Bild aus der Zukunft“ ist ein wilder Ritt durch Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in einer krisenhaften Gegenwart, kakofon und ziellos

VON SONJA VOGEL

„Unsere Gruppe ist von einer Prophezeiung getrieben. Wir fanden sie auf einem berühmten Graffito aus den Riots in Griechenland 2008. Aktivistinnen hatten ‚Wir sind ein Bild aus der Zukunft‘ auf die Wände gesprüht. Wird diese Voraussagung eintreten?“ Im Dämmerlicht stößt ein fünfköpfiger Chor diese Worte im Flüsterton hervor. Er sitzt in einem provisorischen Sendestudio mit Mischpult, Bildschirm und einer Handkamera, die nonstop Ausschnitte des Geschehens sendet. Auf dem Tisch: Giorgio Agambens „Ausnahmezustand“.

Hinter dem Stück „Wir sind ein Bild der Zukunft: Nachrichten von Krise, Aufstand und Ausnahmezustand“, das am Freitag im HAU 3 gegeben wurde, steht eine siebenköpfige Gruppe. Die Journalistin Margarita Tsomou, Elektromusiker Can „Khan“ Oral, der queere Theatermacher Gin Mueller, Autor Tim Stüttgen und Performer Julian Meding stehen auf der Bühne. Die Gruppe sieht sich als Nachkommen von Gabi Teichert, der Zeitforscherin aus Kluges „Patriotin“.

„Wir machen uns Sorgen um die Zukunft“, flüstert ihr Chor. „Atom-GAU, Euro-Kernschmelze, Hunger, mal ein Ausnahmezustand, mal ein kommender Aufstand, es regnet Vögel.“ Dazu wummert ein monotoner Bass. „Und wir? Wir müssen uns beeilen.“ In Reenactments oder mit Zitaten begeben sich die PerformerInnen darum an Orte der Vergangenheit und Gegenwart, an denen die Zukunft verhandelt wird: an die Börse, zu den Protesten in Athen und Genua, unter Philosophen, in den Chatroom.

Ständig wechseln die DarstellerInnen ihre Sprechposition. Das Spotlight der Handkamera versenkt alles in tiefes Schwarz, nur die Gesichter, an die Wand projiziert, bleiben verstörend weiß. „2018. Alle nichteuropäischen Migrantinnen werden nach Luxemburg abgeschoben“, spricht der eine in die Kamera. Die andere prophezeit einen Krieg, der mit allen Mitteln geführt werde. Eine Frauenstimme fantasiert aus dem Off vom Ende der Welt, Musik überblendet ihre Endzeitvison. Die live gemischte Musik, Stimmen und Einspieler vereinigen sich zu einem monotonen Takt, schwellen zum Sound einer Gegenwart der Krise an.

Auch Linke sehen die Apokalypse kommen. Auf der Leinwand erscheint Franco „Bifo“ Berardi, auf einem unförmigen Sofa sitzend. Er doziert von der totalen Destruktion durch die Finanzökonomie. Schnitt. An der Wand zucken die Renditekurven der Börse wie ein menschlicher Herzschlag. Sie zeigen abwärts. An der Börse handeln die „Future-Händler“ das Kommende. „Der Trubel der Finanzwelt basiert auf Hellsehen“, spricht jemand. Langsam wird die Grafik von der Projektion eines sich drehenden Tornados verschluckt. Die Wirtschaftswissenschaft habe ihre Macht verloren. „Es kontrollieren die Freaks!“, schreit Tim Stüttgen in ein Megafon. Immer wieder schwillt die Musik zu einer bedrohlichen Wall of Sound an. Überhaupt sind die Soundeffekte bemerkenswert, von Maschinengewehrsalven, die in einen Technobeat übergehen, bis zu einer auf Smartphones gespielten Rockballade: Die Beats brechen fast nie ab, fahren direkt in Bauch und Füße.

Dann schaltet Can „Khan“ Oral live in die Vergangenheit. Athen 2011. Über einem eingängigen Beat liegen die rhythmischen Sprechgesänge der DemonstrantInnen. Margarita Tsomou brüllt die Parolen mit, hackt simultan die deutsche Übersetzung in den Laptop – die läuft über ihrem Kopf mit. „Steckt euch das Rettungspaket in euren Arsch!“, steht da in Versalien. Immer wieder brechen die Übersetzungen ab, bleiben unfertig. Schnitt. Globalisierungskritische Proteste in Genua 2001. „Was macht mehr Spaß?“, jauchzt Moderator „Khan“, „Genua oder Occupy?“ – „Beides okay“, lächelt Julian Meding als Riot-Hopper in Genua.

„Wir sind ein Bild aus der Zukunft“ ist ein wilder Ritt durch Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in einer krisenhaften Gegenwart, kakofon und ziellos. Trotzdem ist der Gruppe eine radikale und sehr poetische Recherche gelungen, die versucht, an Bruchstellen der Vergangenheit, an die ja bereits gekommenen Aufstände anzuknüpfen und Raum für etwas Zukünftiges zu schaffen. Die Zeitschnipsel, die sie auf die Bühne bringen, fügen sich dabei wie ein Mosaik ständig zu neuen Bildern zusammen. Zu Bildern aus der Zukunft.

■ Heute letzte Aufführung, 20 Uhr im HAU 3, Tempelhofer Ufer 10