: Gysis FJS
Er kommt aus Bayern, mag klare Worte und sieht manchmal das Weiße in den Augen des Gegners. Klaus Ernst, Architekt des geplanten Linksbündnisses
AUS BAYREUTHKLAUS JANSEN
Er fliegt mit dem Gleitschirm, paddelt über die Stromschnellen kanadischer Flüsse und sonnt sich auf seinem gepachteten Bauernhof auf einer bayerischen Alm. Klaus Ernst sitzt in einem Hotel in Bayreuth, speist Fisch und trinkt einen Weißwein, zwischendurch piepst das Handy. Sein Lebensentwurf ist der eines gut verdienenden westdeutschen Singles. Aber in den vergangenen Wochen kümmerte er sich um schlecht verdienende Arbeitslose und ostdeutsche Sozialisten.
Ernst, 50 Jahre alt, ist der einflussreichste unter den vier Chefs der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG). Der Organisation, die sich aus den Hartz-IV-Protesten gebildet hat und die mit der PDS über ein Bündnis verhandelt. Bis Ende der Woche wollen er und seine Kollegen aus dem WASG-Vorstand mit der PDS-Führung die Verhandlungen abschließen. Teile der WASG-Basis sind dagegen. Doch Ernst wird versuchen, das in den Griff zu kriegen. Er ist Pragmatiker. Er sagt: „Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zusammenzubekommen, ist der sicherste Weg, die fünf Prozent zu schaffen.“
Die PDS kam in Ernsts Planungen für eine Linkspartei eigentlich nie vor. Der „PDS-Geruch“, dass war auch für ihn lange der Geruch von Vergangenheit, DDR, Spießertum. Er hingegen ist Bayer, man hört es an seinem Akzent, dazu Sakkoträger, gut frisiert, braun gebrannt. „Das kommt nicht aus Münzmallorca“, sagt er. Darauf legt er Wert. Gewerkschaftskollegen nennen ihn scherzhaft einen „spätpubertären Jungen.“
„Ich bin fürs bessere Leben, warum sollte ich darben“, sagt Ernst. „Ich bin froh, dass ich nicht von Hartz IV leben muss.“ Warum ist dann die Ablehnung von Hartz IV zentraler Programmpunkt seiner Partei? Ernst antwortet mit einem Bild: „Man muss nicht jeden Berg selbst besteigen. Es ist nur wichtig, von wem man sich die Aussicht erklären lässt.“
Seine Aussicht war schon immer von der IG Metall geprägt. Schon mit 15 zog er von zu Hause aus, weil ihn sein Stiefvater schlug. Ernst begann in München eine Ausbildung zum Elektromechaniker, wohnte erst einmal drei Monate in einem Lehrlingswohnheim mit „Duschen wie im Schlachthof.“ Danach zog er zur Untermiete zu einem alten Preisboxer in ein möbliertes Zimmer nach Schwabing. Das war 1970: Hippies bevölkerten die Unis, Ernst malochte. „Eine Scheißzeit“, sagt er heute. Auch beruflich. Sein Ausbilder ließ ihn zehn Tage lang am Stück Spulen aufwickeln. Er gründete eine Lehrlingsgruppe. „Ich hab die anderen aufgehetzt.“ Um seine Augen bilden sich Lachfältchen.
Er gefällt sich in der Rolle desjenigen, der sich nichts gefallen lässt. Er hat gelernt, dass Protest funktionieren kann: Nach seiner Ausbildung wollte ihn sein Betrieb nicht übernehmen, doch die Gewerkschaft half ihrem Jugendvertreter. Er blieb zehn Jahre, studierte dann Volkswirtschaft und Sozialökonomie. 1984, beim großen Metallerstreik, holte ihn der damalige Stuttgarter Bezirksleiter Klaus Zwickel hauptamtlich zur Gewerkschaft. Ernst koordinierte die Aktionen in Stuttgarter Betrieben, bis die 35-Stunden-Woche erkämpft war.
Auch als WASG-Chef fühlt sich Ernst vor allem den 20.000 Metallern seiner Schweinfurter Verwaltungsstelle verantwortlich. Wenn er zu Verhandlungen mit der PDS nach Berlin fährt, nimmt er bei der Gewerkschaft Urlaub. Die Region Schweinfurt ist eine der wenigen in der IG Metall, die Mitgliederzuwächse verzeichnet. Seine bayerischen Kollegen mögen ihn. „EK“, nennen sie ihn respektvoll. „EK“ für Ernst, Klaus. So wie bei der CSU früher FJS Franz Josef Strauß war.
„Ernst hat seinen Laden im Griff“, räumt auch Bayerns IG-Metall-Chef Werner Neugebauer ein – ein bierzelterprobter SPD-Anhänger, der die Idee der WASG für „wahnsinnig“ hält und sich wünscht, dass Ernst seine Fähigkeiten „woanders investiert“.
Ernsts Stärke ist vor allem die Organisation. „Ich hab als Kind gelernt, dass man sich entweder vernetzen oder schnell weglaufen können muss“, sagt er. Er ist es, der das fragile Gebilde WASG zusammenhält – mit härterer Hand, als vielen Mitgliedern lieb ist. Auf dem Parteitag vor einem Monat bekam er mit 55 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis der vier gleichberechtigten Bundesvorsitzenden. Gerade weil er das prominenteste Gesicht der Partei ist.
Vor allem die Trotzkisten und sonstigen Splittergruppen innerhalb der WASG hat er gegen sich aufgebracht – mit Absicht. „Ich habe keine Lust, stundenlang ideologisch rumzudiskutieren. Wenn die mir erzählen, wir sollten Opel verstaatlichen, frage ich mich, was wir mit einem solchen Verlustbringer am Bein wollen.“ Außerdem: „Den Sozialismus als Tagesaufgabe, das interessiert doch keine Sau mehr.“ Dass ihm viele mangelnde innerparteiliche Demokratie vorwerfen, stört ihn nicht. „Man kann halt keine basisdemokratische Pressekonferenz machen.“
Am liebsten, so scheint es, hätte Klaus Ernst aus der WASG eine reine Gewerkschafterpartei gemacht: „Ich hatte gedacht, dass es in jeder IG-Metall-Verwaltungsstelle zwei, drei Leute gibt, die dafür sorgen, dass der Laden nicht auseinander fliegt. Das ist nicht ganz gelungen.“ Immerhin ist seine 76 Jahre alte Mutter beigetreten. Auch gut.
Ernsts Organisationstalent macht den Stars Gregor Gysi und Oskar Lafontaine die Rückkehr auf die politische Bühne erst möglich. Er will vernetzen, keine Visionen entwickeln. Programmatisch große Sprünge sind da nicht zu erwarten. „Wenn man seiner Zeit voraus ist, landet man am Ende im Gefängnis“, sagt er. Für die Medien ist er deshalb ein Mann der 70er, das personifizierte Rückwärts. Ihn stört das nicht besonders: „Als Kletterer lernt man, dass man manchmal umkehren sollte.“ Ernsts Punkt zur Umkehr war die Agenda 2010. 30 Jahre SPD-Mitgliedschaft endeten im März 2004.
Das Wahlprogramm der WASG verspricht eine Million Jobs im öffentlichen Dienst. Wo die entstehen sollen? „Versuchen Sie mal, in Friedrichshafen einen Brief einzuwerfen. Da müssen Sie bis zum Hauptbahnhof laufen.“ Ernst will eine Stimmung wie unter Ludwig Erhard, der die Menschen mitgenommen habe. Ein Besitzstandswahrer? „Vielleicht. Aber das sagen die von der FDP. Und die sind Besitzstandsmehrer, das ist schlimmer.“
Ernst könnte es mit dieser Haltung bis in den Bundestag bringen. Der Landesvorstand der bayrischen WASG hat ihn einstimmig für den ersten Landeslistenplatz vorgeschlagen – ob es zu einer Kooperation mit der PDS kommt oder nicht. Dennoch: Die Medienfigur Klaus Ernst wird es nie mehr so geben wie in diesen Tagen. Platzt das Bündnis mit der PDS, ist die WASG marginalisiert – kommt es zustande, interessieren nur noch Gysi und Lafontaine. Ernst hat bereits erlebt, wie das ist: Vor wenigen Wochen, auf einer WASG-Veranstaltung zur NRW-Landtagswahl, trat er gemeinsam mit Lafontaine auf. In ihren Redebeiträgen brüllten beide gleich laut und gestikulierten gleich stark. Und am Ende der Veranstaltung signierte Lafontaine im Blitzlicht der Fotografen seine eigenen Bücher. Ernst stand am Rande.
„Ist doch super, wenn Gysi und Oskar das demnächst machen“, sagt er. Wenn er die Linkspartei in den Bundestag gehievt hat, wird er Platz machen. „Das Rampenlicht ist Stress. Am Anfang war’s mir ja recht, doch langsam langt es.“ Er hat Handyrechnungen von bis zu 2.000 Euro bezahlen müssen. Seine Freunde sieht er selten. Und auf der Alm war er auch schon lange nicht mehr.
„Ich muss nichts mehr werden, ich bin schon was geworden“, sagt er. Er nennt sich „Provinzfürst“ der Schweinfurter IG Metall, und sagt, dass das sein Traumjob sei. „Bei Verhandlungen mit Unternehmen kann man noch das Weiße in den Augen des Gegners sehen.“