: Und jetzt zum Kindernotprogramm
Über 2.000 Kinder arbeitsloser Eltern verlieren in diesem Jahr ihre Kita-Plätze, das ergibt eine Umfrage unter Hamburgs Kindertagesstätten. 70 Prozent klagen über Arbeitsverdichtung: Rund 1.800 Kinder mehr, aber 500 Erzieherstellen weniger
Von Kaija Kutter
Das Kita-Gutscheinsystem des CDU-Senats benachteiligt Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen stärker denn je. Das ist eine der Erkenntnisse einer 50 Seiten dicken Studie, in der die SPD-Abgeordnete Andrea Hilgers eine Befragung der Hamburger Kitas ausgewertet hat. Denmach müssen in diesem Jahr 2.014 Kinder im Umfang von 100 Kita-Gruppen ihre Krippen- oder Hortplätze verlassen, weil die Weiterbewilligung von der Stadt nicht genehmigt wird.
„Es sind zwar heute mehr Kinder in den Kitas, aber von berufstätigen Eltern“, erklärt Hilgers. Sie habe zwar nichts dagegen, dass die einen kämen, aber die anderen bräuchten die Förderung um so nötiger. Hilgers: „Das wird sich an den Problemen in der Schule zeigen.“
Etwa 1.600 Kinder zusätzlich und somit rund 55.000 Kinder insgesamt werden nach Angaben der Heimleitungen in 2005 betreut. Doch in den Krippen für unter Dreijährige und in den Horten für Schulkinder hat der Nachwuchs arbeitsloser Familien nach der Systematik des Gutscheinsystems nichts zu suchen. Was nicht selten dazu führt, dass Schüler nachmittags neidisch am Kita-Zaun stehen und ihren Klassenkameraden beim Spielen zusehen. Dass jetzt so viele Kinder aus dem System herausfallen, führt die Jugendpolitikerin Hilgers darauf zurück, dass die noch unter Ex-Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) zugestandenen Übergangsregelungen in 2004 ausgelaufen sind.
Mit fast 9.700 Fällen ebenfalls hoch ist nach Analyse der promovierten Sozialwissenschaftlerin der Anteil der Kinder, die einen Kita-Platz hatten, aber ihre Betreuungszeit reduzieren müssen. Nur in acht Prozent der Fälle geschieht dies auf Wunsch der Eltern, in 84 Prozent aber, weil die Eltern arbeitslos wurden (38 Prozent), weniger arbeiten (21 Prozent) oder eine Babypause einlegen (25 Prozent).
Hilgers leitet diese Zahlen aus der im März durchgeführten Umfrage unter den 813 Kita-Leitungen Hamburgs ab, an der sich 218 Einrichtungen beteiligten. Ein Rücklauf von 27 Prozent stellt – was ein Abgleich mit Daten des Statistischen Landesamts ergab – auch von den sozialen Indikatoren her eine repräsentive Auswahl dar.
Der größte Teil der Fragen bezieht sich auf die Auswirkungen der seit Januar greifenden Sparmaßnahmen bei den Kitas durch CDU-Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram. Diese hatte den Kita-Etat auf 341 Millionen Euro festgelegt, und unter der Maßgabe, dass 3.000 zusätzliche Kinder betreut werden, die Standards abgesenkt. Weil Erzieher, die deshalb über schlechte Bedingungen klagen, von der Behörde Druck bekamen, hat die SPD die Umfrage anomyn durchgeführt.
Im Ergebnis sprechen nun 70 Prozent der Kitas von einer „Verschlechterung“ und 73 Prozent von einer „Arbeitsverdichtung“. In der Summe haben die Kitas rund 500 bis 600 Vollzeitstellen weniger als ihnen nach den alten Standards von 2004 zustanden. 13 Prozent mussten Beschäftigte entlassen, 38 Prozent ihre Mitarbeiter zu Stundenreduzierungen zwingen. Bemerkenswert: Rund vier Prozent der mit den Gutscheinen bewilligten Stunden (120 Stellen) stehen den Kindern zwar zu, werden aber nicht eingesetzt. Hier müsste man, so Hilgers, die Träger fragen, was mit den Stunden passiert.
Bildhaft deutlich wird die Lage bei den Antworten auf die Frage nach Qualitätsmerkmalen. So hat rund die Hälfte aller Kitas die Fortbildung der Mitarbeiter und deren tägliche Vorbereitungszeit eingedampft. Auf Kleingruppen und Gruppenreisen muss ebenfalls fast die Hälfte der Kinder verzichten. Und rund ein Drittel der Kitas gab an, an „frischem Essen“ und „Reinigung“ zu sparen. „Es läuft“, sagt Marina Gerstmann vom Bündnis der Kita-Beschätigten, „in vielen Kifas nur noch das Notprogramm.“