: Wie man in Namibia zusammengelebt hat
Die erste namibische Oper, Eslon Hindundus „Chief Hijangua“, feiert Europapremiere beim und mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Von Katharina Granzin
In der Aula des Carl-Friedrich-von-Siemens-Gymnasiums in Berlin-Charlottenburg pfeift, gurrt und zirpt es, ab und zu mischt sich ein Mecker- oder Muh-Geräusch darunter. Wir sind in einem namibischen Dorf, akustisch dargestellt vom Chor, der auf und vor der Bühne steht.
Die klangliche Idylle währt allerdings nicht lange, denn eine dramatische Szene wird gerade geprobt. Drei Sänger agieren in einem spannungsgeladenen Dreieck; einer hat ein Stück Rohr in der Hand, das ein Gewehr darstellt, und Regisseurin Kim Mira Meyer erklärt den DörflerInnen aka ChoristInnen, dass sie eher erstaunt als ängstlich darauf reagieren sollten, „denn ihr habt vorher noch nie ein Gewehr gesehen“.
Einen Solisten bittet sie um mehr stimmliche Präsenz, zieht einen anderen sanft zwei Meter weiter nach links. Die Szene wird mehrfach wiederholt, was hilfreich ist, denn dadurch wird die Handlung allmählich verständlicher. Gesungen wird auf Otjiherero, der Sprache der Herero. Probensprache ist Englisch, denn das Ensemble ist international gemischt.
Im Herbst 2022 erlebte „Chief Hijangua“ seine Uraufführung im namibischen Windhoek, doch die Besetzung für die Deutschlandpremiere ist nicht ganz dieselbe. Unter anderem ist der Berliner Chor cantus domus neu in das Projekt mit einbezogen worden – zusätzlich zum Chor Vox Vitae Musica, den Eslon Hindundu, seines Zeichens Komponist und Dirigent des Ganzen, in Namibia leitet. Hindundu, Jahrgang 1996, ist ein „freeborn“, wie in Namibia die Generation derjenigen genannt wird, die nach der Unabhängigkeit 1990 geboren sind, und Opern-Enthusiast seit seiner Teenagerzeit.
Diese Neigung wird einem in Namibia nicht in die Wiege gelegt, denn eine Opernkultur gibt es im Land nicht, und es gibt auch keine Möglichkeit, klassischen europäischen Gesang zu studieren. Seine Inititalzündung hatte er, erzählt Eslon Hindundu, während einer USA-Tournee mit dem Chor des namibischen College of the Arts, in dem er damals, als Sechzehnjähriger, gesungen habe. Eines Abends hätten sie frei gehabt und durften zur Freizeitgestaltung zwischen zwei Unternehmungen wählen: entweder eine Shopping-Mall besuchen oder in die Oper gehen. Er habe sich für den Opernbesuch entschieden, was wohl die folgenreichste Entscheidung seines Lebens war. Denn fortan wusste er: Das will ich machen!
Drei Jahre später begann er mit einer professionellen musikalischen Ausbildung, nahm Gesangs- und Dirigierunterricht und studierte Musik an der University of the Free State in Südafrika. Als er 2019 die Chance bekam, als Assistent des Chorleiters an einer „Turandot“-Produktion in Deutschland mitzuwirken, erlebte er zum ersten Mal hinter den Kulissen, wie eine Oper gemacht wurde, und war „völlig fasziniert“, wie er sagt. „Und dann dachte ich: Warum sollte ich nicht selbst eine Oper schreiben?“
Kim Mira Meyer, die als Regieassistentin bei dem Projekt dabei war, ließ sich sofort von seiner Idee begeistern, gemeinsam die erste Oper Namibias auf die Beine zu stellen. Und sie sei es auch gewesen, sagt Hindundu, die ihn überzeugt habe, Nikolaus Frei als Librettisten mit an Bord zu nehmen. Durch diese Zusammenarbeit sei die Story vielschichtiger geworden.
Er selbst habe ursprünglich gar nicht vorgehabt, seine Geschichte während der Kolonialzeit spielen zu lassen. Ihm sei es vor allem wichtig, in seiner Oper von einer vergangenen Alltagskultur zu erzählen, die mittlerweile fast ganz verschwunden sei, weil die junge Generation sie nicht mehr kenne: was man früher gegessen habe, wie man zusammengelebt habe, wie ein Dorf organisiert gewesen sei.
Was die Musik betrifft, so sagt der junge Komponist selbstbewusst, er habe sehr viel von Bach gelernt, denn dieser habe ja auch oft einfache Choräle genommen und daraus etwas viel Größeres geschaffen. Ähnliches habe er selbst mit namibischen Liedern gemacht: afrikanische Melodien in harmonischen Zusammenhängen verarbeitet, die nach klassischen europäischen Mustern funktionieren. Die zugrundeliegenden Rhythmen wiederum seien meist afrikanisch geprägt.
Die Storyline der Oper handelt von einem Prinzen, der aus unglücklicher Liebe sein Heimatdorf verlässt und zwischen die namibische und die deutsche Kultur gerät. Im zweiten Teil des Werks kommt es zu einem konfliktreichen Showdown, bei dem auch geschossen wird: Die koloniale Besatzungszeit beginnt.
Dieser Teil wird fehlen in einer Fassung für Kinder, die im Humboldt Forum gezeigt wird; hier soll es ausschließlich um die Vermittlung der Kultur gehen. Ein Erzähler ersetzt in dieser Fassung die Übertitel.
„Chief Hijangua“, 15. bis 17. 9., je 19.30 Uhr im Haus des Rundfunks
Kinderoper „Hijangua“, 21. 9., 10 und 12 Uhr, sowie 22. 9., 10 Uhr, im Humboldt Forum
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