: Geschichten aus der Tiefe
FUNDE Der Bredenplatz, Bremens archäologisches Füllhorn, steht kurz vor der endgültigen Versiegelung. Jetzt wurde eine über 1.000 Jahre alte Münze gefunden
Von Henning Bleyl
Am Montag geht es den Findlingen an den Kragen: Noch stehen sie wuchtig in der Bredenplatz-Baugrube, sie bilden die Grundmauer eines „Steinkammer“ genannten frühmittelalterlichen Turms. Er war wohl nicht ganz so hoch wie das künftige Atlantic-Hotel, aber in seinen Tiefen stellt er eine archäologische Schatzkammer dar.
Die Findlinge stehen der Einfahrt zur künftigen Hotelgarage im Weg, immerhin soll die Mauer 20 Meter entfernt wieder aufgebaut werden, zur Verschönerung des Hotelrestaurants. „Ich bin froh, dass es überhaupt einen Platz für sie gibt“, sagt Stadtarchäologe Dieter Bischop.
Sein Team hat sich bis Normalnull hinunter gegraben, also acht Meter in die Tiefe. Ein besonderer aktueller Fund ist eine Münze Karls des Kahlen aus den ersten christlichen Jahrzenten der Stadtgeschichte: Zahlreiche Kreuze auf der Münzrückseite, die einen antiken Tempel überziehen, führen demonstrativ den im 9. Jahrhundert vorhandenen Missionierungsbedarf vor Augen.
Karl der Kahle war ein Enkel Karls des Großen, der gern als Bremens Gründer bezeichnet wird: In der Tat hatte er Bischof Willehad 787 mit der Errichtung eines Missionsbistums beauftragt, das aber entstand nicht aus dem Nichts: Bischops Ausgrabungen belegen erstmals, dass Bremen im 8. Jahrhundert keineswegs nur eine Fischersiedlung war, sondern eine veritable Ortschaft inklusive einer festen friesischen Handelsstation. Letztere lag auf einer Insel am heutigen Martini-Standort.
Die friesische Anlage war durch zahlreiche Muschelgrus-Scherben nachzuweisen. Keramik, gegen das Zerspringen beim Brennen mit Muschelsplitt „gemagert“, gilt als „Leitfossil“. Bischop: „Diese Technik nutzten ausschließlich die Friesen.“ Ein friesisches Münzgewicht stützt den Befund.
Ein weiteres unerwartetes Ergebnis der Grabungen ist die Erkenntnis, dass die Balge wesentlich breiter war als bislang angenommen: Sie erstreckte sich vom Schütting bis zur Martinistraße in einer Breite von beinah 100 Metern. Archäologische Funde geben eben nicht nur Auskunft über Kulturgeschichte, sondern erhellen auch naturräumliche Veränderungen. Bischops Team stieß auf eine mehrere Meter mächtige Sandschicht, die sich in sehr kurzer Zeit gebildet hatte: Durch ein bislang nicht näher bekanntes Naturereignis im 8. Jahrhundert wurden gewaltige Mengen der Domdüne abgetragen und in der Balge abgelagert.
Passend zum benachbarten Spielcasino entdeckten die Archäologen eine beachtliche Anzahl knöcherner Würfel. Dass in der „Steinkammer“ neben all der Würfelei auch frommes Treiben herrschte, zeigt der Fund eines Klappaltars, aus einer wunderbar konservierenden Kloake gefischt, sowie die Entdeckung von zwei Pilgerzeichen. Eines zeigt den heiligen Leonhard mit Kette, zuständig sowohl für Gefangene als auch für Wöchnerinnen, das andere die „Bluthostien“ von Wilsnack: Heinrich v. Bülow, ein Vorfahr des aktuellen Stadtmusikantenpreisträgers Vicco v. Bülow alias Loriot, hatte das brandenburgische Dorf 1383 samt Kirche niedergebrannt – seitdem galten die wundersamer Weise unbeschädigten Hostien als Feuerschutz. Nichtsdestoweniger ist die „Steinkammer“ nach Bischops Erkenntnis mehrfach abgebrannt und eingestürzt.
Von dieser Geschichte zeugen sieben Fußböden, die die Archäologen sukzessive freilegten. Der oberste besteht aus Kieselmosaiken, darunter ist dicker, hellgrauer Lehmboden zu sehen. Noch zwei Böden tiefer haben die Archäologen ein Fass aus dem 17. Jahrhundert gefunden, weitere zweihundert Jahre älter ist ein darunter liegendes Weinfass.
Die „Steinkammer“ stellt einen beeindruckenden Vertikalschnitt durch die Bremer Geschichte dar. Der jüngste Fund, ein geschmolzenes Johannisbeer-Einmachglas, steht in eigentümlicher Beziehung zur Münze Karl des Kahlen: Auf dem selben Fleck haben Bremer Einwohner – getrennt freilich durch etliche Höhenmeter – vor Wikingerüberfällen wie vor den Bomben des Zweiten Weltkriegs gebangt. Nun bleibt den Archäologen noch eine Woche Zeit, bevor der letzte Rest des Platzes überbaut wird.