IM MAUERPARK : Spießigkeit als Pose
Das Fleisch ist durch, das Bier ist kalt, der Mond ist aufgegangen. Dass die Kinder noch nicht ins Bett müssen, ist ein gutes Zeichen: Die Eltern sind zweifelsfrei a priori gegen das Verbot an sich, und außerdem sind die Sektflöten schon wieder voll. In der portablen Kühlbox unter einem Berg leerer Grillwürstchenverpackungen wartet ungeduldig Nachschub. Ein Mensch, der gerade das Laufen erlernt hat, trägt jauchzend ein Weinglas davon. Elternrücken bilden einen Kreis um jene, die noch krabbeln: ein fröhlich beschwipster Sicherheitszaun. Der Sand auf der anderen Seite ist zum Kippenlöschen da: Nicht in den Mund!
„Man sollte uns im Prenzlauer Berg endlich mal sagen“, fordert einer, „dass wir längst spießiger sind, als unsere Eltern jemals waren. Keine Wahrheit könnte uns mehr erschüttern.“ Er selbst sei (aus Versehen quasi, früher spielte er Geige) Jurist bei einer großen Berliner Kanzlei. „Dass wir dennoch grün wählen, ist nichts als politischer Ablasshandel.“ Er erwäge den Sprung in die Selbstständigkeit. Mal was Neues. Vielleicht werde er eine Beratungsfirma in Fernost gründen.
Emma-Louise heult auf, Paul hat sie in einen Haufen Plastikbecher geschubst. Mit der Taschenlampe findet man sie darin auf Anhieb.
„Bei anderen ist die Spießigkeit nicht wesenhaft, sondern nur eine Pose“, fährt er fort. „Neulich griff mich hier im Mauerpark ein Punk an, weil ich eine Bierflasche stehen ließ. Schimpfte mich einen Asi, verwies auf künftige Schläge. Zu Hause trennt der doch nicht mal seinen Müll!“ Empörung allenthalben. Ist denn am Ende nichts, wie es zu sein scheint?
Verstört blicken wir in unsichtbare Gesichter. Die Nacht hat alle Konturen verwischt. Das Geburtstagskind verstaut armevoll Partyreste in großen, blauen Säcken. Was es nicht findet, verschluckt die Dunkelheit. Morgen früh räumen die Punks dann die Pfandflaschen weg. ARIANE BREYER