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Archiv-Artikel

Als sei es die Insel der Seligen

KUBA Fidel Castro hat zweifellos Gutes getan. Nur rechtfertigt das nicht das Schlechte

Kam die Rede auf seine Nationalität, schwärmten die Chauffeure von Castro

VON MANUEL KARASEK

Nachdem der Kommunismus in Osteuropa in den Neunzigerjahren spektakulär kollabierte, öffnete Kuba seine Tore für den Tourismus. Fasziniert vom insularen Sozialismus kehrten viele regelrecht hypnotisiert in ihre kapitalkräftigen Heimatländer in Europa zurück – und berichteten anschließend gar Wundersames. Ausschließlich gastfreundschaftliche Inselbewohner waren ihnen begegnet, die nicht behelligt wurden von lästiger Werbung und giftigen Eigentumsverhältnissen. Strukturell siedelten sich solche Erzählungen in die Nähe utopischer Narration, in der messianische Elemente unbemerkt ins Satirische rutschten: Im Blick mancher verklärte sich Kuba zu einer Insel voller Nazarener.

Enerviert war der im Exil lebende kubanische Autor José Manuel Prieto jedoch nicht von Karibikurlaubern, als er das Buch über seine Heimat schrieb. Gereizt hatte ihn eher ein offenbar global verbreitetes Phänomen: Gleichgültig in welchem Taxi er Platz nahm, egal an welchem Ort – kam die Rede auf seine Nationalität, begannen die Chauffeure von Fidel Castro zu schwärmen. Der Rauschebart tragende Regierungschef galt ihnen als Personifizierung eines karibischen David, der dem US-Goliath mehrmals eins ausgewischt hatte. Dieser Anekdote entsprechend klingt der Titel von Prietos jüngstem Werk auch entweder wie der Anfang oder die Pointe eines langen Witzes („Die kubanische Revolution und wie erkläre ich sie meinem Taxifahrer“), hat aber einen bitterernsten Hintergrund.

Prieto weiß nämlich, dass das Image Kubas vor allem über das negative Erscheinungsbild der Hegemonialmacht USA geprägt wird – und dass Fidel Castro seit 50 Jahren zum Schaden des eigenen Landes davon profitiert. Da setzt auch seine Kritik an, die sich nur am Rande mit der Geschichte der Revolution von 1958/59 auseinandersetzt, dafür aber mehr ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung beschreibt. Dass dabei der oberflächliche Blick mancher Touristen implizit ins Spiel kommt, liegt an Prietos Kenntnissen, die eng mit seiner Autobiografie verknüpft sind: 1962 als Sohn eines Arztes geboren, Absolvent einer technischen Eliteschule, Ingenieursstudium in der UdSSR, daraufhin freiwilliges Exil und erste literarische Publikationen. Er gehört zu jener Generation, die Ende der Achtzigerjahre Reformen am sozialistischen Kurs forderten – eine Bewegung, die Fidel Castro im Keim erstickte.

Die Konsequenz daraus war der zweitgrößte Exodus seit 1980. Insgesamt haben seit der Revolution, so berichtet Prieto, zehn Prozent der Kubaner ihre Insel verlassen, viele ertranken in den Neunzigern beim verzweifelten Versuch, mit selbst gebastelten Flößen das Meer zu überqueren. Der inzwischen schwer erkrankte Castro, der von seinen Ämtern zurückgetreten ist, verstand es immer, das nordamerikanische Handelsembargo zu seinen Gunsten zu nutzen. Mal diente es ihm als Schuldzuweisung für die instabilen ökonomischen Verhältnisse auf Kuba, dann wieder kam es ihm als Beleg für die imperialistisch-kolonialistischen Bestrebungen der USA entgegen; und selbst aus kurzfristigen Abkommen wie dem von Carter und Castro 1980, in dem eine Quote für Flüchtlinge festgelegt wurde (Ronald Reagan hob die Regelung später wieder auf), schlug er Kapital.

Der Autor hält sich aber nicht, wie man jetzt erwarten könnte, am rechten politischen Rand auf – wie zahlreiche Exilkubaner, die seit Jahren eine Zerschlagung der kommunistischen Herrschaft unter Mithilfe der USA postulieren. Das Bezwingende seines Textes findet man eben darin, dass sein Verfasser nicht jenen Ressentiments unterworfen ist, die Merkmale der verhärteten, polarisierten Positionen sind. So hält er beispielsweise die Revolution als solche für einen Irrweg, ist aber gegen einen gewaltsamen Umbruch, in dem er lediglich die blinde Tendenz erblickt, 50 Jahre kubanischer Geschichte wegzuwischen – und spricht sich für eine schrittweise Lösung aus, ähnlich dem chinesischen Weg. Trotz dieser Akzente ist sein Buch keine politische Streitschrift, sondern eher ein spielerischer (und ernster) Exkurs in die schizophrene Affinität des Lateinamerikaners zum großen Bruder im Norden. Wie sehr in mancher Beziehung Kuba doch den USA gleicht, wie stark vom Hochmut die Nordamerikaner geblendet sind – das hat übrigens auch pädagogisches Potenzial für die Zukunft.

■ José Manuel Prieto: „Die kubanische Revolution und wie erkläre ich sie meinem Taxifahrer“. edition suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008, 220 Seiten, 10 Euro