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Archiv-Artikel

Herzlichen Glückwunsch, Wurst

Eine fränkische Ausgeburt wird 200 Jahre alt: das Frankfurter Würstchen. Eine Umschau

Die Politik ist tot, feiern wir die Wurst. Die ödet einen wenigstens nicht an

Vor 200 Jahren kam das Frankfurter Würstchen in die Welt. Genauso schmeckt der Riemen im zarten Saitling meist aber auch: hochbetagt und oll und brackig, nach Darm, gefüllt mit den Abfällen, die der Schlachtergehilfe zusammenfegt. Das heiße Würstchen ist das Laminat unter den Lebensmitteln.

Ersonnen hat es ein Franke: Johann Georg Lahner, Fleischergeselle aus Gasseldorf bei Ebermannstadt, warf 1805 in Wien eine neue Wurst auf den Markt, die er Frankfurter nannte. Die Erfindung dieser Ausgeburt wird nun gefeiert, mit dem original Gasseldorfer Lahner-Würstel, zwei Tage lang, in Gasseldorf, am 11. und 12. Juni. Ach wer da mitfeiern und in die Wurstesserhymne einstimmen könnte: „Sie kamen als Menschen und wurden zu Wurst.“ Oder, wie der Franke (gesprochen: Frrangge) sagt: „A weng Woscht geht immer.“

Als Kind, ich muss es bekennen, liebte ich diese schäbigen Teile, von meiner Omma Heiß-heiß-Würstchen genannt, weil sie ja nicht gebraten, sondern in Wasser erhitzt werden. Immer hatte Omma Kotsch genug davon in ihrer Einkaufstasche. Besonders beliebt waren Erzeugnisse der Verbrecherfirma Redleffsen, die als „die Würstchen mit dem Reißverschluss“ zu trauriger Berühmtheit gelangten. Sie wurden in Unmengen verschlungen und verdrückt, mit Senf oder Ketchup oder Meerrettich oder Mayonnaise oder allem davon, gern auch mit Kartoffelsalat. Und war es auch scheußlich, so ward es doch als schön empfunden.

Der Ekel vor der Wurst kam erst mit den Deutschländer-Würstchen auf. Er speiste sich vor allem aus der Enttäuschung darüber, dass diese Produkte gar nicht aus Deutschen hergestellt werden, um dann von anderen Schwarzrotgoldwahnsinnigen kannibalisch verzehrt zu werden. Aber so ist das mit den Deutschen: Alles Schwindel, und nicht mal ein charmanter. Auch deshalb ist der 200. Geburtstag des Wurstriemens ein Thema: Die Politik ist tot, feiern wir also die Wurst.

Der politische Journalismus erreicht ungeahnte Anödungswerte; Figuren, die vorgestern Rot-Grün favorisierten und uns gestern mit ihren schwarz-grünen Visionen langweilten, werfen sich nun in die schwarz-gelbe Schleimspur und werden nicht müde, uns mit dem Hohelied der Spießigkeit zu beseppeln. Verglichen damit ist ein runder Wurstgeburtstag eine hoch interessante Angelegenheit, die wir nur zu gern in den Rang einer Nachricht erheben.

Ein entzückender Wurstwitz stand vor Jahren im Satiremagazin Titanic: „Bei Familie Bockwurst ist wieder Senf eingetroffen – Hei, wie sie alle ihre Köpfchen in das gelbe Nass tunken!“ So konnte man es sich vorstellen, das lustige Frankwurster Leben. Ernüchternd ist allerdings die Konfrontation mit den spröden Tatsachen: Frankfurter Würstchen werden aus reinem Schweinefleisch hergestellt, wie Eheleute paarweise abgedreht und über Buchenholz geräuchert, bis sie eine goldgelbe Farbe haben.

Gegen Ende des Räucherprozesses lässt sich diese Farbgebung dadurch intensivieren, dass die Frankfurter für kurze Zeit einem Nassrauch ausgesetzt werden: Über die Holzglut wird eine trockene Schicht Hartholz-Hobelspäne gestreut, über die sofort eine weitere Schicht gut angefeuchteter Hobelspäne kommt, die das gesamte Räuchermaterial am Glimmen hält, aber keine Flamme mehr zulässt. Nach dem Räuchern sollen die Frankfurter auf dem Rauchspieß leicht abkühlen. Aschenstaub wird durch kurzes Abschwenken mit heißem Wasser entfernt. Die Würstchen werden dann in Kästen neben- und übereinander geschichtet, mit Pergamentpapier gut abgedeckt und leicht gepresst, so dass sie eine viereckige Form bekommen. Wenn diese Würstchensorte außerhalb des Wirtschaftsgebiets Frankfurt hergestellt wird, muss sie als „Würstchen nach Frankfurter Art“ deklariert werden. Auch ein schöner Name für Daniel Cohn-Bendit.

Das Wiener Würstchen, verharmlosend auch Wienerle genannt, besteht jeweils zur Hälfte aus Schweine- und Rindfleisch mit hohem Sehnenanteil, wird mit Pfeffer, Muskatblüte, Koriander, Paprika und Ingwer gewürzt und in Schafsdärme abgefüllt. Nitritpökelsalz macht die Wurst rot, sonst wäre sie auswurfgrau. So genanntes Kutterhilfsmittel rundet die unappetitliche Angelegenheit ab; das Wort Kutter hat nichts mit dem Wasserfahrzeug zu tun, sondern ist das metzgerdeutsche Wort für den englischen Cutter. Kutterhilfsmittel sind Zitrate, meist wird Trinatriumzitrat verwendet. Es wirkt ähnlich wie Kochsalz, schmeckt aber nicht salzscharf, zusätzlich wird der pH-Wert geringfügig angehoben. So wird die Salzkonzentration gesteigert, ohne dass das Produkt salzscharf schmeckt. Zitrat wird wie Kochsalz zu Beginn des Kuttervorgangs zugesetzt.

Auch etwas Farbfestiger wird dem Wienerle noch beigegeben – wahrscheinlich im guten alten Gard-Haarstudio, von Jacques Galais persönlich. Fertig ist die fiese Wurst / Guten Hunger, guten Durst! WIGLAF DROSTE