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Archiv-Artikel

„Krieg knallt rein“

Flucht, Krankheit und Verzweiflung sind Quotenbringer. Michael Gleich, Gründer des Projekts „Peace Counts“, will Frieden sichtbarer machen

INTERVIEW CLAUDIA HÖHN

Ist der Friedensjournalismus Marktlücke oder Quotenkiller?

Michael Gleich: Für mich ist es eine Nische, in der man qualitätsvolle Publizistik machen kann. Gut geschriebene und fotografierte Reportagen zu komplexen Themen. Es ist vielleicht kein Quotenbringer, aber auch kein Quotenkiller. Immerhin haben wir mit unseren Geschichten 30 Millionen LeserInnen erreicht. Offensichtlich ist das Bedürfnis nach so etwas da.

Von Knut Hickethier stammt der Satz „Krieg bleibt für die Medien letztlich unsichtbar“. Wie ist es mit dem Frieden?

Krieg hat Eventcharakter. Flucht, Krankheit, Verzweiflung – das knallt rein. Daher kommt die Wendung „Only bad news is good news“. Der Krieg liefert die denkbar schlechtesten und damit die besten Nachrichten, was Quoten angeht. Frieden ist unsichtbarer, weil es nicht einmal den Event gibt. Die Herausforderung liegt darin, langfristige Prozesse der Wiederannäherung, der Versöhnung und der Wahrheitsfindung sichtbar zu machen.

Wie wirkt Friedensberichterstattung? Haben Sie einen erzieherischen Anspruch?

Ich möchte nicht belehren. In der Berichterstattung aus Konfliktregionen werden diejenigen, die für Lösungen stehen, ausgeblendet. Das ist ein blinder Fleck. Über die muss man auch berichten. Das Publikum fragt ja: Wie soll es weitergehen? Wo könnten Lösungen liegen? Wir berichten über Leute aus der Zivilgesellschaft, die mit ihren Ideen die Zukunft gestalten. Angesichts der Hoffnungslosigkeit machen diese Beispiele Lust auf eigenes Engagement. Ich muss nicht Gandhi oder Mutter Teresa sein, um etwas zu bewirken. Ich schätze, dass es diesen Effekt hat.

Wie finden Sie Ihre Themen und die Friedensstifter?

Ein paar Monate braucht die Recherche. Wir werden dabei von Friedens- und Konfliktforschern beraten und wählen sorgfältig aus. Wir wollen nicht „gut gemeint“, sondern „gut gemacht“.

Stichwort „gut gemeint“: Was sagen Sie zum Vorwurf des Gutmenschenjournalismus?

Wir machen keine Hofberichterstattung der anderen Art. Wir jubeln niemanden wider besseres Wissen hoch. Wir möchten keinen „embedded peace journalism“ machen und uns mit den Nichtregierungsorganisationen ins Bett legen. Wenn Leute Mist bauen, schreiben wir das auch.

Sie haben in einer Diskussionsrunde auf dem Kirchentag gesagt: „Ich muss besser sein als die anderen.“ Was heißt das?

Wir müssen die redaktionelle Hürde überwinden, die besagt, dass Krieg spannend und Frieden langweilig ist. Wir haben keine Knallbilder von Massakern. Wir müssen uns gegen das Laute durchsetzen mit etwas, das im Leisen spannend ist. Und mit langem Atem berichten. Über charismatische Menschen, über Menschen mit gebrochenen Biografien. Menschen, deren kleines Projekt in Kolumbien oder Sri Lanka eine Insel ist, um die herum es scheppert und kracht.