piwik no script img

Archiv-Artikel

„Das war für mich eine Art Feuertaufe“

HASSREDEN (1) „Hate Radio“, zu sehen auf dem Berliner Theatertreffen, ist beklemmendes Dokumentartheater. Ein Gespräch mit Nancy Nkusi, die als Kind aus Ruanda fliehen musste – und nun eine Täterin des Genozids spielt

Nancy Nkusi

■ hat Schauspiel studiert am Konservatorium in Lüttich, gibt als Heimatort Lüttich an und als Wohnort Bern. Geboren wurde sie 1986 in Ruanda, 1994 musste sie von dort als Kind mit ihrer Familie nach Belgien fliehen. Zu „Hate Radio“ erscheint im Berliner Verbrecher Verlag ein Begleitbuch.

INTERVIEW ELISE GRATON

taz: Frau Nkusi, wie haben Sie reagiert, als Ihnen die Rolle der zum Massenmord aufrufenden Radiomoderatorin Valérie Bemeriki in „Hate Radio“ angeboten wurde?

Nancy Nkusi: Erst einmal war ich erleichtert, dass ich bei einem seriösen Stück mitwirken durfte. Ich habe im vergangenen Juni mein Schauspielstudium abgeschlossen und war schon ein wenig darüber besorgt, was auf eine junge schwarze Frau wie mich zukommen würde. Aber natürlich hat es mich auch ein wenig gegruselt, in „Hate Radio“ mitzuspielen.

Inwiefern?

Das Stück setzt sich ja mit dem Völkermord in Ruanda auseinander – ein Thema, das in meinem Leben eine große Rolle spielt. Ich war acht Jahre alt, als ich 1994 mit meiner Familie von Ruanda nach Belgien geflüchtet bin. Ich bin dann aufgewachsen, ohne wissen zu wollen, was damals passiert ist – auch weil keiner es mir vermitteln wollte. Meine Eltern haben Verwandte durch den Konflikt verloren. Es fiel ihnen schwer, darüber zu reden. Und so blieb die ganze Geschichte lange begraben.

Sie hätten sich außerhalb des Familienkreises informieren können: „Hate Radio“ ist nicht das erste Stück zum Thema und es gibt auch eine Menge Filme dazu.

Die habe ich mir aber nie ansehen wollen. Das mag jetzt vielleicht grenzwertig klingen, aber ich hatte immer das Gefühl, die Leute würden mit dem Unglück anderer Menschen Geld machen. Dass ich jetzt keine Ruanderin spiele, die gelitten hat, weil ich eine Ruanderin bin, die gelitten hat, ist für mich ein Glückstreffer.

Wussten Sie also bis zum Projekt so gut wie gar nichts über die damaligen Ereignisse?

Genau. Mit „Hate Radio“ setzte ich mich zum ersten Mal wirklich mit der Vergangenheit auseinander. Das war für mich eine Art Feuertaufe.

Ein gefährliches Vorhaben: „Hate Radio“ veranschaulicht den Propaganda-Horror, der den Genozid ermöglichte und begleitete, auf eine sehr eindringliche Weise.

Allerdings. Die Grausamkeit, mit der damals Menschen ermordet wurden, habe ich auch erst aus dem Text erfahren, wie etwa dass schwangeren Frauen der Bauch aufgeschlitzt wurde. Weil ich die jüngste und auch einzige Frau in der Gruppe bin, wollte ich Stärke beweisen und das alles auch erst mal allein bewältigen. Aber das ging natürlich nicht lange gut. Ich fing an mich abzuschotten und nur noch mechanisch zu spielen.

Wie haben Sie diese Phase überwunden?

Meine Spielpartner sind auf mich zugegangen. Auch für sie war die Beschäftigung mit dem Stoff schwer. Wir haben dann viel und oft darüber geredet, was das Stück mit uns macht, und ich habe gelernt, dass es normal ist, schwache Momente zu haben.

Ist für Sie dann die Rolle der Valérie Bemeriki eine Rolle wie eine andere geworden?

Das wird sie nie sein. Okay, ich sehe mich schon als ziemliche Anfängerin im Schauspielerberuf. Trotzdem sagt mir mein Gefühl, dass es immer etwas Besonderes ist, eine Figur zu verkörpern, die historisch existiert hat. Darüber hinaus spiele ich nicht gerade die personifizierte Güte, sondern eine Frau, die auch heute noch von vielen in Ruanda gekannt und zutiefst verabscheut wird. Dort wird sie das „Monster Bemeriki“ genannt.

Der Regisseur Milo Rau hat Bemeriki im Gefängnis besucht. Gab es dann für Sie besondere Hinweise für ihre Darstellung?

Nein, gar nicht. Der Besuch diente in erster Linie dem Austausch von technischen Informationen, zum Beispiel darüber, wie das Studio damals ausgesehen hat, oder über den organisatorischen Ablauf der Sendungen. Außerdem sehen wir uns überhaupt nicht ähnlich. Und ich habe gar nicht versucht, sie zu sein. Ich habe einmal den Text gelesen und wusste schon, das schaffe ich nicht.

Der Text besteht aus Originalaufnahmen der damaligen Sendungen. Gibt es einen Satz oder eine Passage, die Sie besonders geprägt hat?

Bei der ersten Lektüre hat mich ganz klar die Mittelmeer-Passage durcheinandergebracht. In diesem Moment erreicht Bemeriki einen emotionalen Höhepunkt: Sie erzählt wie wahnsinnig von toten Föten, Kindern, Körpern, die ganze Seen überfüllen. Ich dachte, sie spinnt, musste aber erfahren, dass es diese Flüsse voller Leichen in Wirklichkeit gegeben hat. Diese Passage löst in mir bis heute eine sofortige physische Reaktion aus. Erst seitdem wir das Stück im vergangenen November im Ruanda aufgeführt haben, komme ich damit etwas mehr klar. Dort haben wir das Genozid-Denkmal in Kigali besucht. Bei der Betrachtung der Fotos und Zeugenberichte habe ich eine mir bisher unbekannte Wut empfunden. Diese Wut versuche ich seitdem für die Passage aufzubewahren.

Wie haben die Leute in Ruanda auf das Stück reagiert?

Ich hatte Angst, sie würden das Stück nicht mögen und sich darüber empören, dass eine Ruanderin diese mörderische Propaganda von damals in den Mund nimmt. Aber von allen Generationen im Publikum kam Ermunterung. Es sei notwendig, dass man nicht vergisst, was passiert ist, dass man erfährt, wie sie damals vorgegangen sind und wie die Medien als Instrument der Propaganda genutzt wurden. Viele haben auch auf meinen Akzent geachtet! Seit 17 Jahren hatte ich Kinyarwanda, meine Muttersprache, nicht mehr gesprochen. Die Leute sagten mir, man höre es deutlich heraus, dass ich nicht dort aufgewachsen bin.

Waren Sie seit 1994 zum ersten Mal wieder im Ruanda?

Ja. Deswegen ist das Projekt für mich sowohl beruflich als auch auf privater Ebene bedeutend gewesen. Es ist wichtig zu wissen, woher man kommt. Früher oder später holt einen die Vergangenheit ein. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, ist dieses Projekt das Beste, was mir nach dem Studium passieren konnte.